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Schwanenschmaus im Porterhouse

Schwanenschmaus im Porterhouse

Titel: Schwanenschmaus im Porterhouse
Autoren: Tom Sharpe
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wurde, ehe sie einen neuen, tieferen Glanz annahm. Hin und wieder spuckte Skullion auf die Kappe, um sie danach noch zarter zu reiben. Dann nahm er ein sauberes Staubtuch und polierte die Kappe so lange, bis sie wie schwarzer Japanlack glänzte. Schließlich hielt er den Schuh weit von sich ans Licht, so daß er tief unten in der leuchtenden Schuhcreme ein dunkel verzerrtes Spiegelbild seiner selbst sah. Dann erst legte er den Schuh beiseite und nahm sich den anderen vor. Das hatte er vor vielen Jahren bei der Marineinfanterie gelernt, und die Prozedur wirkte noch genauso beruhigend auf ihn wie damals. Auf geheimnisvolle Weise schien sie den Gedanken an die Zukunft mit ihren Gefahren zu verscheuchen, als habe der nächste Morgen immer einen Hauptfeldwebel und eine Inspektion parat, als ließen sich die Veränderungen mit einem Paar glänzender Stiefel aufhalten. Die ganze Zeit über qualmte die Pfeife in seinem Mundwinkel; die Kamineinfassung wurde im Luftzug dunkler oder glühte, und draußen fiel Schnee. Und die ganze Zeit über verarbeitete Skullions Gehirn, von der Prozedur und den Werkzeugen der Gewohnheit geschützt, die Tragweite der Rede des Rektors. Veränderung? Veränderungen gab es immer, und wozu sollten sie gut sein? Skullion fiel nichts ein, was an Veränderungen gut war. Seine Erinnerung durchforscht die vergangenen Jahrzehnte auf der Suche nach Gewißheit, die sie nur in der Selbstsicherheit von Männern fand. Von Männern, die nicht mehr unter den Lebenden weilten oder, falls nicht verstorben, entrückt und vergessen waren, ignoriert von einer pulsierenden Neuheiten nachjagenden Welt. Doch er hatte ihre Selbstsicherheit als Jugendlicher erlebt und war davon so beeindruckt worden, daß er sich diese Eigenschaft heute noch wie ein bekanntes Gesicht aus der Vergangenheit ins Gedächtnis rufen konnte, um die übermächtigen Ungewißheiten der Gegenwart in ihre Schranken zu weisen. Qualität hatte er sie genannt, die Selbstsicherheit dieser alten Männer, Qualität. Er konnte sie nicht definieren oder auf Einzelheiten festlegen. Sie hatten sie eben besessen, punktum, und einige mochten zwar Trottel oder Schufte gewesen sein, doch ihre Stimmen hatten so harsch geklungen, als könnte ihnen nichts und niemand etwas anhaben. Das Wort Zweifel hatten sie nicht gekannt, oder wenn, dann hatten sie ihre Zweifel für sich behalten, statt ihre Unsicherheit so lange herauszuposaunen, bis man schließlich nicht mehr wußte, ob man Hühnchen oder Hähnchen war. Solcher Männer und ihrer Selbstsicherheit eingedenk, spuckte Skullion auf seinen Schuh und polierte sein Spiegelbild. Über ihm surrte und knarrte die Turmuhr, ehe sie zwölf schlug. Skullion zog seine Schuhe an und ging ins Freie. Immer noch fiel Schnee, Hof und Collegedächer waren weiß. Er stellte sich an die Nebenpforte und schaute hinaus. Ein Auto spritzte vorbei, dessen Scheinwerfer noch bis zur King’s Parade orangefarben durch den Schnee leuchteten. Skullion ging wieder ins Haus und schloß die Tür. Die Welt dort draußen ging ihn nichts an. Sie war von einer Trostlosigkeit, über die er gar nicht Bescheid wissen wollte.
    Er ging zurück ins Pförtnerhaus, setzte sich wieder und nahm seine Pfeife zur Hand. Die ihn umgebenden Utensilien seines Amtes, die alte hölzerne Uhr, die Schranke, die vielen Fächer, das Schlüsselbrett und die Tafel mit der Kreideaufschrift »Nachricht für Dr. Messner«, hatten ihn durch all die Dienstjahre begleitet und erinnerten ihn beruhigend daran, daß er noch gebraucht wurde. Fünfundvierzig Jahre lang hatte Skullion im Pförtnerhaus gesessen und das Kommen und Gehen in Porterhouse überwacht, bis es schien, als sei er ebenso mit dem College verwachsen wie die gemeißelten Wappentiere am Turm über ihm. Daß er sein Leben mit der Erfüllung leichter Pflichten zubrachte, während draußen die Welt in einem Strudel von Veränderungen vorbeiwirbelte, hatte Skullions Treue zu den unveränderlichen Traditionen von Porterhouse geschaffen. Als er hier angekommen war, hatte noch ein Empire existiert, das größte Reich, was die Welt je erlebt hatte; eine Marine, die größte Marine der Welt, mit fünfzehn Schlachtschiffen, siebzig Kreuzern und zweihundert Zerstörern, und Skullion war Wachtposten auf der Nelson gewesen, mit ihren drei Geschütztürmen und gekapptem Hinterteil, damit sie den Bestimmungen irgendeines verdammten Vertrags entsprach. Inzwischen war nichts mehr davon übrig. Nur Porterhouse hatte sich nicht
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