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Schwanenschmaus im Porterhouse

Schwanenschmaus im Porterhouse

Titel: Schwanenschmaus im Porterhouse
Autoren: Tom Sharpe
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Atem gerochen. Er war blau wie ein Veilchen.«
    »Jedenfalls ist dies die einzige rationale Erklärung, weshalb seine Wahl auf Skullion fiel«, sagte der Prälektor. »Meines Wissens konnte er den Mann nicht ausstehen.«
    »Da muß ich Ihnen leider beipflichten«, sagte der Schatzmeister. »Lady Mary ...«
    »Hat uns der Lüge bezichtig«, sagten Dekan und Obertutor wie aus einem Munde.
    »Sie sagten ja eben, Herr Dekan, sie war hysterisch«, sagte der Prälektor. »Sie war nicht sie selbst.« Der Dekan blickte finster auf dem Tisch herum. Lady Marys Anschuldigung gärte in ihm weiter. »Verdammtes Weib«, sagte er, »sie ist eine Schande für ihr Geschlecht.« Er ließ seine Wut an dem neuen Kellner aus. »Die Kartoffeln sind verbrannt.«
    »A propos verbrannt«, sagte der Obertutor, »was ist eigentlich im Krematorium schiefgelaufen? Da hat es anscheinend eine schrecklich lange Verzögerung gegeben.«
    »Es gab einen Stromausfall«, erklärte der Dekan, »wegen eines Streiks.«
    »Aha, daran lag’s also?« sagte der Obertutor. »Zweifellos ein Sympathiestreik.«
    Sie beendeten das Essen und nahmen den Kaffee im Gemeinschaftsraum ein.
    »Da wäre immer noch die Frage offen, wer Sir Godbers Porträt malt«, sagte der Obertutor. »Wir sollten uns wohl für einen geeigneten Künstler entscheiden.«
    »Bacon, wer sonst«, befand der Dekan. »Mir fällt kein anderer ein, der eine größere Ähnlichkeit auf die Leinwand bannen könnte.«
    Die Fellows von Porterhouse hatten ihre Munterkeit zurückgewonnen.
    Im Rektorhaus folgte Skullions Leben seinem immer gleichen Schema. Er wurde von einem Zimmer ins andere geschoben, damit er die Sonne genießen konnte, so daß man die Tageszeit anhand seiner Position an einem Fenster bestimmen konnte; nachmittags schob Arthur ihn durch den Garten und quer über den Neuen Hof zum Haupttor. Gelegentlich konnte man spätnachts den Rollstuhl in der Nähe des hinteren Tores mit seinem dunklen, den Bowlerhut tragenden Insassen sehen, der wartend und voll unverdrossener Sinnlosigkeit die spitzenbewehrte Mauer beobachtete, über die keine Studenten mehr kletterten. Doch wenn Skullions Horizont auch auf die engen Collegegrenzen beschränkt sein mochte, so erstreckten sie sich zeitlich bis in den Himmel. Jede Ecke von Porterhouse hielt Erinnerungen für ihn bereit, die die Gebrechen der Gegenwart wettmachten. Offenbar hatte der Schlaganfall seine Gedächtnislücken geschlossen, so daß er in seiner Unbeweglichkeit endlich durch die Jahre reisen konnte, wie er früher seine Runden durch die Höfe und Flure von Porterhouse gemacht hatte. Wenn er so im Neuen Hof saß, rief er sich die Bewohner jedes einzelnen Zimmers ins Gedächtnis zurück, ihre Namen und Gesichter, sogar ihre Herkunftsländer, so daß der Hof eine neue Dimension annahm, etwas Hymnisches und Stummes zugleich. In seinem Kopf war jeder Aufgang ein Labyrinth, in dem sich nicht mehr unter den Lebenden weilende Männer tummelten, die ihm einmal die Ehre ihrer Gleichgültigkeit erwiesen hatten. »Skullion«, hatten sie gerufen, und die Rufe hallten in seiner Erinnerung wider, diese Aufforderung, ihnen zu dienen, die er nie wieder hören würde. Statt dessen nannten sie ihn jetzt Rektor, und schweigend erduldete Skullion ihren Respekt.
    Um ihn her ging das Leben im College seinen gewohnten Gang. Lord Wurfords Vermächtnis hatte den Wiederaufbau des Turmes ermöglicht, und Skullion hatte die Papiere widerspruchslos mit seinem Daumenabdruck unterzeichnet. Als Zugeständnis an die Wissenschaft gab es ein paar Doktoranden, vor allem in Jura und den weniger kontroversen Wissenschaften, doch von diesen Konzessionen abgesehen hatte sich wenig verändert. Die Studenten gingen länger aus, ließen sich die Haare länger wachsen und frönten ihrer Vorliebe für Ansichten, die so trivial waren wie die, mit denen sie früher die Verkäuferinnen verführt hatten. Doch im Prinzip waren sie die gleichen geblieben. Wie auch immer, Skullion war das Denken nicht geheuer. Er hatte seinerzeit zu viele Gelehrte gekannt, um zu glauben, daß sie die Dinge ändern könnten, Was zählte, war die Kontinuität von Sitte und Charakter, das, was ein Mann war, nicht was er sagte, und wenn er sich umsah, war er beruhigt. Die Gesichter, die er erblickte, und die Stimmen, die er hörte – wenn auch mittlerweile hinter Haaren und den geborgten Akzenten der Armen verborgen – trugen immer noch die erkennbaren Klassenmerkmale; und mochte auch an die Stelle der alten,
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