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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst
Autoren: Klaus Wanninger
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Niederschlagung des angekündigten dienstinternen Untersuchungsverfahrens zu verdanken. »Wir hätten die Drecksau erschießen sollen«, hatte sein an der Befreiungsaktion beteiligter Kollege geäußert.
    Musste man sich wirklich wundern, wenn einem Polizeibeamten einmal die Hand ausrutschte?
    »Ich könnte es auf jeden Fall nicht«, unterbrach Umgelter seine Gedanken. »Stillhalten, gleich mit wem ich es zu tun habe.«
    Braig verzichtete auf eine schnelle Antwort. Natürlich wusste er nur allzu gut, dass es Kollegen gab, die Schwierigkeiten damit hatten, immer stillzuhalten. Wie in jedem anderen Beruf auch waren in den verschiedensten Abteilungen der Polizei Leute tätig, die für sich und ihr berufliches Auftreten Sonderrechte beanspruchten und sich zeitweise nicht an alle Gesetze gebunden fühlten. Es gab Kollegen, auch in seinem unmittelbaren Umfeld, die ihren Launen freie Bahn ließen und im Umgang mit Verdächtigen eine Willkür an den Tag legten, die mit rechtsstaatlichen Gepflogenheiten nicht zu vereinbaren war. Proteste betroffener Bürger und Vorwürfe kritischer Journalisten gegen bestimmte Polizeipraktiken waren oft genug berechtigt, das wusste er aus eigener Erfahrung, auch wenn man intern geneigt war, möglichst viel davon unter den Teppich zu kehren.
    Er brauchte nicht weit zu gehen, hatte seinen Kollegen Felsentretter vor Augen, dessen Verhalten bei gemeinsamen Ermittlungen zeitweise nur schwer zu ertragen war. Nicht nur die Tatsache, dass der hünenhafte Mann seine Emotionen allzu oft nicht unter Kontrolle hatte, sich von Jähzorn oder plumpen Vorurteilen leiten ließ, machten die Zusammenarbeit mit ihm schwer, auch dessen Bereitschaft, das eigene Vorgehen fast prinzipiell über geltendes Recht und Gesetz zu stellen, stießen Braig ab.
    »Dann sollten Sie nicht zur Polizei gehen«, erwiderte er deshalb. »Kein Mensch ist frei von natürlichen Ressentiments. Trotzdem ist gewaltfreies Arbeiten das A und O meines Berufs. Auch wenn ich mich manchmal zu dieser Haltung zwingen muss.«
    »Das haben Sie schön formuliert. Gilt das auch für die Damen und Herren, denen Sie hinterher jagen?«
    Braig wollte schon antworten, hörte die Zusatzfrage des Mannes.
    »Sie selbst waren noch nie in Gefahr?«
    Er trank von seinem Kaffee, kostete den würzigen Geschmack, sah zu seinem Gesprächspartner auf. »Was wollen Sie hören? Dass ich erst seit drei Monaten wieder voll dabei bin?«
    Umgelter warf ihm einen überraschten Blick zu.
    »Ich musste erst wieder gehen lernen. Man reichte mich fast ein Jahr lang von Reha zu Reha.«
    »Sie wurden im Dienst verletzt?«
    »Bei der Festnahme eines Mannes, dessen zweiten Mord wir gerade noch verhindern konnten. Er wollte fliehen, fuhr mich einfach um.«
    »Hier bei uns?«
    »In Reutlingen, ja.«
    »Das klingt eher nach Amerika. Nach einem Zuhälter aus Harlem oder der Bronx.«
    »Amerika?« Braig schüttelte den Kopf. »Erinnern Sie sich nicht an Heilbronn?« Er sah, wie der Mann erbleichte.
    »Die junge Polizeibeamtin, die hinterrücks erschossen wurde?«
    »Und ihr Kollege, der erst Wochen später wieder aus dem Koma erwachte.«
    Umgelter hatte offensichtlich sofort begriffen, worauf er anspielte. Bei einer harmlosen Routinekontrolle mitten in Heilbronn waren im Frühjahr zwei junge Beamte der Schutzpolizei ohne jede Vorwarnung von Unbekannten niedergeschossen worden, die junge Frau tödlich, der Kollege lebensgefährlich verletzt. Spekulationen vielfältigster Art über die Hintermänner und deren Beweggründe hatten einander abgewechselt. Selbst der Ministerpräsident hatte sich persönlich geäußert. Monatelang war in die verschiedensten Richtungen ermittelt worden, bis die Spurensicherer am Tatort die DNA einer seit langem gesuchten Frau ermitteln konnten.
    »Was ist mit dem Kerl, der Sie anfuhr? Er sitzt lebenslänglich?«
    Braig schüttelte den Kopf. »Es handelte sich um einen ehrenwerten Herrn der besseren Gesellschaft. Er hatte gute Beziehungen und die besten Anwälte.«
    »Gute Beziehungen und die besten Anwälte? Spielt das tatsächlich noch eine Rolle?«
    »Wo leben Sie?«, erwiderte der Kommissar. »Auf dem Mars oder der Venus oder hier im Ländle?«
    Umgelter schwieg einen Moment, schaute ihn entgeistert an. »Ich würde es nicht aushalten, nicht einen Tag. Gute Beziehungen und beste Anwälte. Dazu noch Politiker, die sich als willfährige Handlanger großer Konzerne prostituieren und deren absurde Entscheidungen Sie auf der Straße draußen verteidigen dürfen.
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