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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst
Autoren: Klaus Wanninger
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augenblicklich klar gewesen, was das bedeutete. Dieselbe Verunstaltung wie an den beiden Wochenenden zuvor, fast genau dieselben Wunden wie bei den anderen Frauen, derselbe in Rage auf seine Opfer einschlagende Täter. Eine Mensch gewordene Bestie, ein Verbrecher, der jetzt Samstag für Samstag sein Unwesen trieb.
    Sie wird in den nächsten Stunden nicht ansprechbar sein, hatte er vom behandelnden Arzt erfahren, hoffen wir, dass sie überhaupt wieder vollkommen zur Normalität findet. Schenken Sie ihr erst einmal Ruhe, jetzt ist es ohnehin passiert, verhindern können Sie es doch nicht mehr.
    Das war das Kreuz, das er und seine Kollegen trugen. Wann immer sie ihn riefen, es war längst geschehen. »Und jedes Mal komme ich zu spät«, sagte er laut. »Was auch geschehen ist, ich kann es nicht mehr verhindern, nicht mehr rückgängig machen. Ob Mord, Vergewaltigung oder Totschlag, mir bleiben nur die Opfer.«
    »Ich frage mich nur, diese ganze Gewalt …« Umgelter starrte sinnend in die Ferne. »Woher? Immer wieder aufs Neue?« Er wandte den Blick zu seinem Gegenüber, merkte, dass Braig keine Anstalten machte, ihm zu antworten. »Dieser junge, überaus beliebte Schüler aus dem Remstal, der von einem 18-jährigen und dessen Freunden erschlagen und dann, ich wage kaum daran zu denken, Sie wissen, was ich meine …«
    »Sie ermordeten ihn und zerstückelten seine Leiche, legten die einzelnen Teile in Blumenkübel, gossen Beton darüber und warfen diese dann in den Neckar und in den Wald.«
    Umgelter schüttelte den Kopf. »Woher kommt sie, diese Gewalt?« Er atmete tief durch, fuhr sich über die Stirn.
    »Darüber zerbrechen sich die Menschen seit Jahrhunderten den Kopf.«
    »Er ermordete ihn aus Eifersucht?«
    »Krankhafte, zum Wahn gesteigerte Eifersucht.«
    »Und das andere? Einen Menschen nicht nur tüten …«
    »Sondern zerstückeln? Gewaltfilme. Horror. Um einen solchen Wahnsinn auszuführen, benötigen sie Vorbilder. Negative Vorbilder. Das Angebot hierzu ist riesengroß. Es läuft jeden Abend auf unzähligen Sendern.«
    »Und junge Leute schauen es sich an.«
    »Vor allem junge Leute. Fragen Sie Psychologen und Gehirnforscher. Wir wissen inzwischen genau, wie anfällig viele aggressionsbereite junge Männer für solche Gewalt-Phantasien sind. Sie schauen es an, saugen die Bilder in sich auf, machen es nach. Natürlich nur ein winziger Teil der Heranwachsenden. Aber es gibt genügend junge Männer, die so psychotisch veranlagt sind, diese Szenen zu verinnerlichen, ihre Phantasie damit zu füllen und sie irgendwann in die Tat umzusetzen. Und trotzdem erlauben wir des Profits wegen Abend für Abend Gewaltorgien auf den Mattscheiben und ähnlich wirkende Computerspiele. Und mir und meinen Kollegen bleibt die Aufgabe, die Opfer auf den Straßen aufzuklauben.«
    Sein Gegenüber wärmte sich an seiner heißen Tasse, schüttelte den Kopf. »Mein Gott, wie halten Sie das nur aus? Ich könnte es nicht. Ich fürchte, ich würde wahnsinnig, wenn ich das auf Dauer ertragen müsste. Oder gewalttätig. Gegen jeden Verdächtigen, der mir in die Hand fiele.« Er führte die Tasse an den Mund, schlürfte den Kaffee.
    Braig musterte den Mann, gestand ihm insgeheim zu, seine – zumindest zeitweilig – eigenen Empfindungen voll und ganz getroffen zu haben. Natürlich hatte er in besonders aufrührenden Fällen mit sich zu kämpfen, seine Emotionen in Schach zu halten, aufkommende Aggressionen gegen vermeintliche, leugnende oder ihre Schuld bekennende Straftäter nicht über sich Herr werden zu lassen. Obwohl er sich selbst für einen weitgehend ausgeglichenen Charakter hielt, fern jeder cholerischen oder jähzornigen Anwandlungen, wusste er aus jahrelanger beruflicher Erfahrung, wie schwer es ihm manchmal fiel, sich nicht zu Gewaltakten gegen hartnäckig die Unwahrheit behauptende Verdächtige hinreißen zu lassen, insbesondere dann, wenn es seiner Kollegin und ihm trotz aller Bemühungen nicht gelang, genügend Fakten zusammenzutragen, die zu einer Festnahme ausreichten.
    »Die Hand ist Ihnen noch nie ausgerutscht?«, fragte Umgelter.
    »Gegen einen Verdächtigen?«
    Braig starrte auf seine Tasse, sah die kleinen Wolken, die sich von ihr lösten. Die Hand noch nie ausgerutscht? Was wollte der Mann hören? Dass es sich bei ihm um einen Engel, ein außerirdisches Wesen handelte? Welcher Kriminalbeamte, Tag für Tag aufs Neue damit beschäftigt, im Sumpf der Gesellschaft zu wühlen, sich mit denen zu befassen, die sich in
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