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Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall

Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall

Titel: Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall
Autoren: Volker Klüpfel , Michael Kobr
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das Bild. Auf einmal begriff Kluftinger, um wen es heute ging. Auch die anderen ließ der Auftritt der Sächsin nicht unbeeindruckt: Während Strobl leise pfiff, entfuhr Hefele ein etwas zu lautes »Brutal!«.
    Alle Köpfe ruckten herum und sahen ihn an. Sein Gesicht nahm schlagartig eine ungesunde dunkelrote Färbung an. Mit einem beschämten Räuspern wandte er sich ab und stopfte sich noch ein paar Häppchen in den Mund.
    »Alle Achtung, Frau Henske!«, sagte Lodenbacher und deutete einen Applaus an.
    Sandy lächelte.
    Maier, der sich unbemerkt hinter Kluftinger gestellt hatte, flüsterte ihm ins Ohr: »Jetzt aber wirklich! Das ist keine angemessene Kleidung für eine Polizeidienststelle! Ich komm schließlich auch nicht in meiner Badehose!«
    »Gott sei Dank, Richie«, raunte Kluftinger flüsternd zurück. »Und jetzt sag mir lieber mal, worum es da überhaupt geht!«
    Doch Maier kam nicht zu einer Antwort, denn sein Chef wurde von Lodenbacher nun unsanft in die Mitte des Raumes geschoben, und erneut sahen ihn alle erwartungsvoll an. Sandy strahlte mit ihren makellos weißen Zähnen übers ganze Gesicht. Maier tippte auf seinem Handy herum, hielt es wie eine Videokamera vor sich und filmte in Kluftingers Richtung.
    Die Gedanken rasten durch Kluftingers Kopf. Dienstjubiläum? Geburtstag? Die wenigsten Fehltage? Mitarbeiterin des Jahres? Kurzerhand entschied er sich für eine der vielen Möglichkeiten. Es gab Situationen im Leben, da musste man einfach alles auf eine Karte setzen. »Liebes Fräulein Henske, liebe Sandy!«, hob er an und bemühte sich, dabei weniger dialektal zu klingen als sonst, »wenn man sich andere Vierzigjährige so anschaut …«
    Sandy riss entsetzt die Augen auf. Priml, dachte Kluftinger. Daneben. Er wandte seinen Blick zum Boden: Dort kauerte Maier mit seinem Telefon, offenbar um ihn aus der Froschperspektive zu filmen. Das erleichterte ihm die Konzentration auf die schwierige Rede nicht gerade. Fahrig fuhr er fort: »… sind diese anderen Vierzigjährigen doch deutlich weniger kindisch als du, Richie! Jetzt reiß dich halt mal zusammen und steh auf, Herrgott!«
    Maier erhob sich langsam, wobei er keinen Moment das Smartphone senkte. Stattdessen kommentierte er murmelnd: »Hier sehen Sie den leitenden Hauptkommissar Kluftinger, der nun endlich eine kleine Laudatio auf unsere Sandy Henske halten wird.«
    »Was machst denn du da überhaupt?«, zischte Kluftinger.
    »Vorsicht, wird alles aufgezeichnet!«
    »Jetzt mach’s mal aus, Kruzifix!«
    »Wieso? Es soll doch eine schöne Erinnerung werden, ein Andenken für Sandy!«
    Hoffnung keimte in Kluftinger auf: »Ein Andenken … woran?« Er versuchte, dabei so gleichmütig wie möglich zu klingen, musste sich aber eingestehen, dass es eher einem Flehen gleichkam.
    »Ja, an das heutige Ereignis halt!«
    Lodenbacher räusperte sich lautstark.
    So kam er nicht weiter, das war Kluftinger klar. Kein Geburtstag, also Dienstjubiläum.
    »Liebes Fräulein Henske, oder, wie wir Sie in all den Jahren genannt haben, liebe Sandy«, hob der Kommissar wieder in feierlicherem Ton an, »ach, all diese Jahre – sind sie nicht viel zu schnell vergangen? Diese wunderbaren … sagen Sie, wie lange sind Sie jetzt hier bei uns bei der bayerischen Polizei?«
    »Dreizehn Jahre sind es jetzt schon, Chef!«
    Kruzifix!
    »Aber in Bayern bin ich ja schon ein bisschen länger, nicht wahr. Gut zwanzig Jahre, kaum zu glauben!«
    Na also , seufzte Kluftinger innerlich. War ja auch Zeit geworden! »Ja, wenn ich mir vorstelle, was für eine harte Zeit das für Sie gewesen sein muss, diese Flucht!«
    Sandys Stirn bewölkte sich.
    Au weh , dachte sich der Kommissar, jetzt kommen bei ihr die Erinnerungen hoch.
    »Wir alle haben noch die Bilder im Kopf von den überfüllten Botschaften in den Ostblockländern. Schwierige Verhältnisse müssen das gewesen sein.«
    Kluftinger hielt für einen Moment inne. Alle starrten ihn an, auch Lodenbacher schien er in den Bann gezogen zu haben. Von wegen Rhetorikkurs! Sandy hatte feuchte Augen bekommen.
    »Gut zwanzig Jahre, ja. Die grüne Grenze, Sie müssen furchtbare Angst gehabt haben. Es gab ja kein Zurück! Hatten Sie denn überhaupt ein Auto zur Verfügung? Sind Sie denn über Ungarn rübergekommen? Durch ein Loch im Eisernen Vorhang in die große Freiheit? Was haben Sie denn damals mit Ihrem Begrüßungsgeld gemacht?«
    Sandy schluchzte nun laut auf. Kluftinger blickte die anderen nach Bestätigung suchend an. Ja, wenn es emotional
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