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Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman

Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman

Titel: Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
Autoren: Susanne Lieder
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ein stinknormaler Mörder sein? Ein Irrer, den es anmachte, Frauen zu erwürgen, ihre Klamotten anzuziehen und mit einer Perücke durch die Stadt zu rennen?
    Stattdessen war Hagedorn ein armes Würstchen, das todkrank war.
    Nein, verdammt, er sollte mir nicht leidtun!
    »Dieser Mann hat nicht mehr lange zu leben, Herr Schuster.«
    »Und da bringt er mal fix zwei Frauen um. Wenn man schon bald ins Gras beißen muss, dann erfüllt man sich noch schnell einen Wunsch, oder was?« Er hatte das nicht sagen wollen. Die Worte waren wie von selbst über seine Lippen gekommen, und er ärgerte sich maßlos über seine taktlosen Worte.
    Er ist ein Mörder! Ein Kerl, der zwei Frauen umgebracht hat, du darfst so über ihn reden!
    Sie taxierte ihn mit ihren hellblauen Augen. »Herr Schuster, dieser Mann ist nicht mehr der, der er einmal war.«
    »Das verstehe ich jetzt nicht.«
    »Wie denn auch?«, sagte sie leise.
    Er hatte es aber gehört. »Ich bin kein Mediziner, Frau Doktor .«
    »Das ist mir bewusst, Herr Hauptkommissar .« Sie ließ ihn nicht aus den Augen. »Ein Glioblastom legt nach und nach alle Funktionen in Ihrem Hirn still, da sich das Gewächs wie eine riesige Spinne mit Millionen Beinen ausdehnt.«
    Nicht in meinem Kopf, dachte er wütend. Was soll das?
    »Wenn Sie erfahren, was da in Ihrem Schädel wächst und sich Tag für Tag weiter ausbreitet, ist es meistens schon zu spät. Dann haben Sie nur wenige Monate, manchmal gar wenige Wochen zu leben. Und das, was Sie noch vor sich haben, ist nicht schön, Herr Schuster. Die Schmerzen werden Sie wahnsinnig machen. Sie haben Lust, Ihren Kopf gegen eine Wand zu schmettern, weil das angenehmer ist als die Schmerzen, die Sie zu ertragen haben.« Sie hielt kurz inne. »Sie leiden unter Anfällen, Ihre Körperglieder zucken, Sie haben Halluzinationen. Sie riechen plötzlich Dinge, hören etwas, das gar nicht da ist. Sie glauben hinzufallen. Morgens ist Ihnen so übel, dass Sie nicht aufstehen können. Sie übergeben sich.« Sie sah ihn eine Weile an. Als sie weitersprach, betonte sie jedes Wort wie ein Prediger. »Und dann tun Sie Dinge, die Ihre Freunde und Kollegen so seltsam finden, dass man Sie kopfschüttelnd anstarren wird. Sie laufen im Kreis, einfach so, weil Sie nicht mehr wissen, wann Sie anhalten sollen. Sie nehmen Ihren Löffel, mit dem Sie Ihre leckere Suppe gegessen haben und löffeln immer weiter, obwohl Ihre Suppe längst aufgegessen ist.«
    Jetzt wurde sie sehr ernst. »Sie ziehen sich im Büro aus, weil Sie glauben, in Ihrem Schlafzimmer zu sein, und ins Bett gehen wollen.«
    Schuster hatte sprachlos zugehört. Bei jedem weiteren Wort sackte er mehr in sich zusammen, bis er schließlich meinte, kopfüber vom Stuhl zu kippen. Das hier war nicht sein Hirntumor, zum Henker! Er war kerngesund, topfit!
    »Sie sehen blass aus, Herr Schuster.«
    Er stand auf und floh.
    Zwei Tage später hatten sie es schwarz auf weiß:
    Peter Hagedorn, 54 Jahre alt, litt unter einem bösartigen Hirntumor. Seine Prognose war nicht sehr gut, sehr wahrscheinlich hatte er keine zwei Monate mehr zu leben.
    Das Glioblastom – allein das Wort machte Schuster schon fix und fertig – hatte genau das getan, was Frau Dr. Wegener ihm so anschaulich erklärt hatte: Es hatte sämtliche Funktionen in seinem Hirn lahmgelegt, ihn mit den schrecklichsten Schmerzen gequält, die man sich vorstellen konnte und ihn phasenweise in einen zuckenden, brabbelnden Kerl verwandelt, der mit Schaum vor dem Mund auf der Erde kauerte.
    Aus dem freundlichen, gutmütigen, etwas kontaktscheuen Mann –­ so hatten Bekannte ihn beschrieben –­ war ein kaltblütiger Mörder geworden, der im Augenblick der jeweiligen Tat völlig unzurechnungsfähig gewesen war.
    Der Tumor, der in seinem Kopf wucherte, hatte den Menschen, der er einmal gewesen war, fast völlig vernichtet.
    Er hatte geglaubt, die Frauen erlösen zu müssen. Er hatte eine eigenartige Seelenverwandtschaft gespürt, war in ihre Wohnungen eingebrochen, hatte sich dort in aller Seelenruhe umgesehen und persönliche Dinge mitgehen lassen. So hatte er seine Opfer für ihre »Erlösung« ausgewählt.
    Zwei Tage darauf brach Hagedorn zusammen.
    Er bekam Morphin-Pflaster gegen die starken Schmerzen, doch selbst die halfen nur bedingt. Immer häufiger war er nicht ansprechbar, lag nur auf seinem Bett. Er hatte Probleme beim Schlucken und konnte nichts mehr essen. Atemaussetzer kamen hinzu, wobei er tief einatmete und dann einige Sekunden nicht mehr
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