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Schusslinie

Schusslinie

Titel: Schusslinie
Autoren: M Bomm
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gabelte. Er nahm den Weg durch die Unterführung unter der Landstraße,
um auf der anderen Seite die zweihundert Meter bis zum vereinbarten Treffpunkt zu
gehen, vorbei an einigen Häusern, die sich an die alte Landstraße reihten. Er spürte,
wie sich der Nieselregen auf seine Kleidung legte. Schon nach wenigen Minuten hatte
er den Parkplatz hinter den Gebäuden einer Bauunternehmung erreicht, die sich direkt
an den steilen Damm der Eisenbahn-Hauptlinie Stuttgart-Ulm schmiegte, hinter dem
das eigentliche Stadtgebiet lag. Dessen Lichterflut erhellte den nebligen Himmel.
    Lanskis Augen hatten sich an die Dunkelheit
gewöhnt, sodass er die Silhouetten der Betriebsgebäude und des Bahndamms deutlich
erkannte. Er sah auch das geschlossene Metalltor und die asphaltierten Freiflächen
davor. Enttäuscht stellte er fest, dass dort kein Auto stand. Vermutlich war er
noch einige Minuten zu früh. Er verlangsamte seinen Gang und schlenderte an dem
Metallzaun entlang, während sich das Rattern eines Güterzugs näherte.
    Lanski hatte endlich Zeit, über alles nachzudenken.
Dieser Treffpunkt hier, daran bestand gar kein Zweifel, war ungewöhnlich. Denn ihm
wäre es lieber gewesen, den Termin im Hotel ›Krone‹ stattfinden zu lassen, wo er
ohnehin telefonisch ein Zimmer gebucht hatte. Doch sein Gesprächspartner war bereits
bei einem Telefongespräch vor drei Tagen darauf bedacht gewesen, einen neutralen
Ort zu wählen. »Kein Lokal, man würde mich kennen – am besten irgendwo in freier
Natur«, hatte er energisch gebeten.
    Nachdem Lanski erklärt hatte, dass er in Geislingen
zu tun haben würde, war es ihm überlassen geblieben, einen geeigneten Treffpunkt
vorzuschlagen. Angesichts der Tatsache, dass er seine Sportsfreunde im Eybacher
Tal besuchen wollte und er auf ein Taxi angewiesen war, hatte er den Firmenparkplatz
unweit des Fußballstadions vorgeschlagen. Hier kam, von Hundebesitzern vielleicht
abgesehen, die ihren Vierbeiner Gassi führten, mit Sicherheit niemand vorbei. Niemand
konnte ihnen zuhören, niemand Mikrofone und Sender installieren. Lanski hatte ja
nicht ahnen können, dass das Wetter derart mies sein würde, jetzt Ende Mai.
    Lanski ertappte sich immer häufiger bei dem
Gedanken, er würde bespitzelt. Nie zuvor hatte er seine Umwelt so kritisch und aufmerksam
verfolgt, wie seit einigen Monaten. In Gesprächen achtete er auf jede Formulierung,
auf jede Bemerkung – und er selbst legte inzwischen jedes Wort, ehe er es aussprach,
auf die Goldwaage. Er hatte längst erkannt, dass die Sache mehr war als ein Spiel.
Viel mehr. Unweigerlich musste er an Anders Frisk denken, den international tätigen
Fußball-Schiedsrichter aus Schweden, der im März von einem Tag auf den anderen zurückgetreten
war, weil Unbekannte ihn und seine Familie mit Morddrohungen schockiert hatten.
    Die Lok des talaufwärts fahrenden, scheppernden
Güterzugs hatte jetzt den Bahndamm über ihm erreicht und ließ die Waggons vorüberziehen,
die sich tiefschwarz vom helleren Hintergrund abhoben. Noch einmal ging er in Gedanken
das Gespräch mit Heimerle und Funke durch. Sie waren bisher die Einzigen gewesen,
denen er sich anvertraute. Zwar hatten sie natürlich keine Lösung gefunden, ja nicht
einmal eine Strategie – doch hier in der Provinz, weit entfernt von den Macht- und
Schaltzentren, konnte man wenigstens sicher sein, im Kreise guter Freunde eine solide
Basis zu erhalten.
    Das Gespräch, das ihm jetzt bevorstand, war
aber nicht minder schwierig. Doch es musste sein. Aus mehreren Gründen. Das Rattern
des endlos langen Güterzugs hämmerte sich in sein Gehirn. Nie zuvor war ihm bewusst
geworden, wie damit ein ganzes Tal beschallt wurde – vor allem nachts, wenn es keine
anderen Geräusche gab. Oder hatte er da soeben doch noch etwas gehört? Lanski drehte
sich um und umklammerte instinktiv den Griff seines Aktenkoffers noch fester.
    Plötzlich beschlich ihn das ungute Gefühl,
irgendetwas könnte nicht in Ordnung sein.
    Da war doch jemand.

4
     
    Der junge Mann, der in einer roten Hotel-Uniform steckte, war mit den
beiden Deutschen in den Aufzug gestiegen und hatte den Knopf fürs neunte Stockwerk
gedrückt. Der Weißhaarige und sein jüngerer Freund hingegen wählten die sechste
Etage. Als sich die Tür automatisch schloss, betrachteten sich die Gäste in den
getönten Spiegeln der Kabine und stellten fest, dass sie übernächtigt aussahen.
Während nacheinander die Kontrollleuchten für die einzelnen Etagen aufblinkten,
drehte sich
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