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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Unterschichtkinder. Alle mussten mindestens ein Instrument spielen und in die Musikschule gehen und in den Sportverein und in Workshops und, und, und. Über allem schwebte die Norm des »Man muss   …«. Welche individuellen Bedürfnisse ihre Kinder hatten, war diesen Müttern (und/​oder Vätern) vollkommen gleichgültig. Als wir zur Geburt unseres Sohnes eine »Baby-Schule«, einen in Form eines Tages-, Wochen- und Monatsplans abgefassten Schedule zur Förderung seiner Entwicklung geschenkt bekamen, warf ich ihn in den Mülleimer. Das war das Letzte, was ich meinem Kind zumuten wollte: sich nach einem vorgegebenen Plan zu entwickeln und nicht nach seinen eigenen Bedürfnissen und Interessen. Mein Mann dachte genauso wie ich. Wir beobachteten unser Kind voller Freude und ungeteilter Aufmerksamkeit und förderten alles, was sich bei ihm an eigenen Initiativen zeigte. Dass er »so spät« anfing, Bücher zu lesen, passt aus heutiger Sicht genau in die Richtung, in die er sich aus sich selbst heraus entwickelte. Er wurde Regisseur und Filmemacher im umfassendsten Sinn des Wortes und ein überaus kreativer und schöpferischer Mensch. Noch heute»denkt« er in Bildern, so wie er früher an seinen Bildergeschichten entlangdachte und fühlte. Seine Hörorientierung ließ diese Bilder vor seinen Augen entstehen. Aus den gehörten Texten und der dazugehörigen Musik wurden Filmsequenzen. Gleichzeitig wurde ihm die Motivation zum Lesen, das er jetzt so intensiv betreibt, nicht durch den Zwang, es tun zu müssen, weil alle es taten, ausgetrieben. Als er uns das später erzählte, war ich froh, ihn nie aus »seiner Spur« herausgerissen und zum Lesen gezwungen zu haben. Er konnte seinen eigenen Weg gehen.
    Mit meinen Schülern versuchte ich es genauso zu halten: ihnen zu helfen, ihren Weg zu finden. Egal ob es sich um Arbeitsschritte bei einer Textanalyse oder Erörterung oder um Schritte in ihrer persönlichen Entwicklung handelte. Ich konnte ihnen das Handwerkszeug in die Hand geben, soweit es den Lernbereich betraf, und mit Rat zur Seite stehen, wenn es um Fragen der Persönlichkeitsentwicklung ging. Aber jeder von ihnen musste seinen Weg selbst gehen. Und er musste wissen, wie. Ob man die Markierungs- oder andere starre Reglementierungen einhält oder nicht, ist egal, wenn am Ende das Verständnis oder gar eine brillante Analyse des literarischen Werkes heraus kommt. Da gibt es kein »Das macht man aber immer so   – und nur so!« Für die Persönlichkeitsentwicklung gilt: empathisch zuhören; verstehen, und das heißt: bis zur Motivationsebene vordringen, die sich hinter der Verhaltensebene verbirgt; wenn nötig, evidente Fragen stellen, die zum Kern des Problems führen. Dabei muss klar sein, dass man selbst nur die »leitende Kraft« ist, die Initiative und der Erkenntnisprozess den eigenen Weg betreffend aber bei jedem einzelnen Schüler verbleiben müssen, denn jeder Weg ist anders, ist ganz individuell. Wenn man sich nicht in diesen Weg stellt, wird er klar gesehen oder erspürt und in den meisten Fällen auch beschritten.
    6.   Mit Niederlagen umgehen!
    Die Beispiele für meine ganz persönlichen Niederlagen, wie ich sie geschildert habe, zeigen, dass man sie einkalkulieren muss. Auch wenn man Menschen nicht wie Dinge managt, wenn man sie ernst nimmt und ihnen zuhört, gibt es die Grenzen des eigenen Einflussbereichs. Es ist schon viel, über die Probleme des alltäglichenMittelmaß-Lehrerdaseins hinauszukommen und, z.   B., den Konflikt (»Teacher’s Dilemma«) zwischen Kontrolle und der Angst vor dem Verlust der Kontrolle überwunden zu haben durch den Aufbau einer effektiven Lehrer-Schüler-Beziehung. Wichtig ist zu prüfen, wie weit der eigene Einflussbereich jeweils reicht. Das impliziert Fragen wie: »Was ist das Beste, das ich unter den gegebenen Umständen tun kann?«, »Kann ich noch mehr tun und, wenn ja, was?«, »Habe ich meinen Einflussbereich wirklich proaktiv ausgeschöpft?« Manchmal habe ich solche Fragen tagelang mit mir herumgetragen, bis ich eine Antwort fand. Dabei habe ich auch bemerkt, wie unterschiedlich der Rahmen des eigenen Einflussbereichs ist. Wenn Schüler, Eltern und Lehrer zusammenarbeiten bei der Lösung eines Problems, vergrößert das den Handlungsmodus ungemein. Wären die Eltern meines Schülers Moses in Deutschland geblieben, hätte ich mit ihnen reden können; wahrscheinlich wäre das Hauptproblem, einen Jugendlichen in einer schwierigen pubertären Phase vollkommen
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