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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Dualität deutlich. Im System Schule, im Team, heißt inspirieren auch, gemeinsame Werte und Strukturen zu entwickeln, die die Befähigung zur Selbstverantwortung, zur Entscheidungsfähigkeit, zur »Freiheit zu« beinhalten. Die Voraussetzung dafür ist die Atmosphäre, die die Vertrauenswürdigkeit der Lehrer vermittelt. Es ist eine Atmosphäre, in der von außen gesetzte Regeln durch gemeinsame Werte und Prinzipien ersetzt sind. Meine Schüler und ich brauchten die »Fehlzeitenregelung«, die »Verspätungsregelung« und die »Entschuldigungsregelung« nicht, weil wir selbstverantwortlich mit der Situation umgingen. Meine Schüler hatten das Ziel, viel in Eigeninitiative zu lernen. In der Atmosphäre gegenseitiger Vertrauenswürdigkeit konnten sie dieses Ziel angstfrei verwirklichen. Um das Ziel zu erreichen, war es kontraproduktiv, zu spät zu kommen, zu fehlen oder zu bummeln. Es war ganz einfach und es war logisch. Auch Kontrolle war unter diesen Umständen vollkommen überflüssig.
    Am Anfang dieser Zusammenarbeit stand das unbewusste Bedürfnis meiner Schüler, die Werte der Vertrauenswürdigkeit und des Vertrauens zu schaffen, hinter welchem Verhalten sich auch immer dieses Bedürfnis verbarg. Es war in diesem Sinne eine Vision. Die Vision von meiner Seite war gleichlautend, ergänzt durch die Erkenntnis: »Behandle einen Menschen, wie er ist, und er wird bleiben, wie er ist. Behandle einen Menschen, wie er sein könnte und sein sollte, und er wird werden, wie er sein könnte und sein sollte.« 5
    5.   Aus dem Weg gehen!
    Wenn ein Zustand wie der oben beschriebene etabliert ist, kann man gemeinsam die Probleme lösen, die auftreten und Konflikte bewältigen. Auf der Basis des empathischen Zuhörens, des wirklichen Verstehens, des Gewinn-Gewinn-Denkens, des gegenseitigen Respekts gelingt es sogar, die Rollenmuster zu überwinden. Ich habe in der Schule oft darunter gelitten, dass ich da vorn an meinem häufig auch noch exponiert stehenden Tisch als »Lehrerin« wahrgenommen wurde. Das bedeutete, dass die Schüler alle tradierten Verhaltenserwartungen automatisch auf mich übertrugen, und ich hatte oft monate- oder gar jahrelang damit zu kämpfen, sie ihnen abzugewöhnen. Sie waren es gewohnt, mich nicht als Menschen zu sehen, sondern als Verkörperung eines Rollenmusters. Wenn sie merkten, dass ich sie nicht managte wie Dinge, auch nicht behandelte wie »die Schüler«, gab es zunächst eine Vakuumsituation. Die Rollenerwartung wurde enttäuscht; mit dem Verhalten umzugehen, das ich an ihre Stelle setzte, darin waren sie nicht erprobt. Wenn wir es schafften, die neuen Werte und gemeinsamen Prinzipien an die Stelle dieser gewohnten Muster zu setzen, gab es eine vollkommen neue Arbeits- und Interaktionsgrundlage.
    Irgendwann kamen wir dann an den Punkt, projekt- und problemlösungsorientiert arbeiten zu können. Die erlernten Methoden, die wir in immer wieder anderen Zusammenhängen übten, halfen dabei. Wichtig ist aus meiner Erfahrung, nicht auf einem bestimmten Lösungsweg zu bestehen, sondern aus dem Weg zu gehen. Wenn man dem Einzelnen oder dem Team die Art der Lösung überlässt, werden Eigenschaften wie Initiative, Selbstständigkeit,Offenheit und Kreativität erblühen. Es ist wie bei einigen Kleinkindern, die vom Robben zum Laufen kommen, ohne vorher das Krabbeln als »Muss-Einheit« eingeschoben zu haben. Will man sie dazu bringen, doch »wie alle anderen Kinder« diese Phase zu durchlaufen, wird man scheitern. Mein Sohn wollte zu meinem größten Erstaunen keine Bücher lesen, als er in der Schule schnell und sicher Lesen gelernt hatte. Nach wie vor ließ er sich sehr gern von mir vorlesen und hörte ununterbrochen seine Hörspielkassetten. Er hörte sie so oft und so lange, dass er sie alle auswendig konnte. Er erfand früh eigene Geschichten. Vor allem orientierte er sich an Bildern. Lange bevor er lesen lernte, »las« er die Bildergeschichten von Donald Duck und anderen seiner Helden. Er erfand den Text dazu selbst und war schon in der Kindergartenzeit sehr eloquent. Kontinuierlich lesen tat er erst mit etwa 14   Jahren. Und von da an war er nicht mehr aufzuhalten. Er las alles, was er in die Finger bekam. Das ist bis heute so geblieben. All das gehörte zu seinem ganz eigenen Weg. Ich habe oft in unserer Mittelschicht-Welt Mütter gehört, die das »Er (oder sie) muss aber doch   …« von sich gaben. Alle Kinder in diesem Milieu mussten lesen, weil »man« das eben tut. Nicht lesen tun nur
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