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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter
Autoren: Amanda Cross
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was sie zugegeben hatte, sondern auch ein bißchen verärgert. Es ist so lange leicht, über die wunderbare und aufrichtige Jugend zu reden, wie sie einem nicht die Zähne zeigt. Warum habe ich der so beeindruckenden Miss Tyringham nicht einfach gesagt, sie solle ihr verflixtes Antigone-Seminar selber halten, wenn sie schon so ein tolles Genie ist. Ist es zu spät für den Rückzug? Nach dieser ersten persönlichen Begegnung mit der High-School-Jugend hätte Kate am liebsten die Beine in die Hand genommen und sich davongemacht. Meine Brüder haben wenigstens eine eindeutige Meinung, sagte sie grimmig zu sich selbst. Du falsche Liberale, du.
    Sie nahm sich zusammen und begrüßte die junge Frau in der Telefonzentrale, die auch die Eingangshalle im Auge hatte. »Darf ich Sie mit Miss Fansler bekannt machen«, sagte Anne. »Das ist Miss Strikeland, die Verbindung zwischen uns und der großen Welt da draußen.«
    »Guten Tag«, sagte Kate und wurde im selben Moment vom Telefon unterbrochen.
    »Theban-Schule«, flüsterte Miss Strikeland, »ja, sicher, einen Augenblick, bitte.« Mit der einen Hand stöpselte sie einen Stecker ein, mit der anderen winkte sie Anne heran. Anne kam näher.
    »Er ist wieder da«, flüsterte Miss Strikeland.
    »Wer?«
    »Dieser Mann. Er geht da drüben auf und ab. Zum zweiten oder dritten Mal schon.« Unauffällig folgten Kate und Anne ihrem Blick, aber der Mann wandte ihnen das Profil zu, und sie konnten ihn offen betrachten. Er wirkte wie Anfang siebzig und war tadellos gekleidet. Er hielt den Hut in der Hand und sah sich um wie in einem Museum, zu dem er von weit her gekommen war. Es gab nicht sonderlich viel zu sehen – ab und zu ein Mädchen, das durch die Eingangshalle rannte. Leute, die mit einer Frage an Miss Strikelands Schalter kamen, Lehrer auf dem Weg zum Lehrerzimmer oder zu einem der Büros. Dennoch betrachtete der alte Mann alles so gründlich, als – wie Ophelia von Hamlet sagte – wollt’ er’s zeichnen.
    »Seltsam«, sagte Anne. »Er sieht wirklich harmlos aus. Haben Sie ihn gefragt, was er wünscht?«
    »Er sagt, er will sich nur umsehen. Ich habe ihm erklärt, daß dies eine Schule ist – wir haben schließlich kein Schild draußen, und manchmal wissen es die Leute nicht. Er sagte, er wisse, daß dies eine Schule sei, das Theban, und daß er sich gerade deshalb umsehen wolle. Er sagte, ich würde ihm das hoffentlich gestatten. Ich antwortete, er dürfe nicht nach oben gehen, und er meinte, das habe er auch nicht vor. Das letzte Mal setzte er sich auf eine Bank und sah zu, wie die Mädchen das Gebäude verließen – ein paar Stunden lang.«
    »Miss Strikeland, halten Sie es für möglich, daß der alte Mann etwas Schmutziges im Sinn führt?«
    »Er sieht eigentlich nicht so aus, nicht wahr? Ich habe ihn ziemlich genau beobachtet. Dennoch ist es beunruhigend.«
    »Er geht«, sagte Kate.
    »Ja«, sagte Anne. »Miss Strikeland, falls er wiederkommt, sollten Sie jemandem Bescheid sagen. Miss Freund, zum Beispiel; sie hat Erfahrung mit solchen Dingen.«
    »Sie haben recht«, sagte Miss Strikeland. »Willkommen im Theban, Miss Fansler. Es tut mir leid, daß ich so abgelenkt wurde.«
    »Dieselbe Miss Freund wie zu meiner Zeit?« fragte Kate. »Zulassungen, Entschuldigungen und freundliche Entgegennahme von Anträgen auf Fahrgelderstattung?«
    »Genau die. Mit dem Unterschied, daß sie heute auch noch Buskarten ausgibt und auf sehr gutem Fuß mit dem hiesigen Polizeirevier steht.«
    »Wegen der Jungen in der Turnhalle?« fragte Kate und folgte Anne zur Treppe.
    »Nein. Weil die Mädchen manchmal, sowie sie einen Schritt vor die Tür gemacht haben, von Kinder-Gangs verfolgt werden – Gangs der Unterschicht, obwohl es sich nicht gehört, das auszusprechen. Aber sie hänseln die Mädchen vom Theban wegen ihres Reichtums; daher ist die Vermutung wohl berechtigt. Nach mehreren hysterischen Elternabenden haben wir einen Aktionsplan entwickelt. Eines der Mädchen geht sofort zur Schule zurück, und Miss Freund ruft ihre Freunde bei der Polizei an. Die Mädchen sind gehalten zu melden, wenn sie im Bus oder anderswo belästigt werden. Man kann wirklich kaum von ihnen erwarten, daß sie in einer so kriminellen und brutalen Welt naiv und unschuldig sind. Nun«, sagte sie, öffnete eine Tür und ging voraus in einen Speisesaal, in dem der Lärm so groß war, daß man ihn fast körperlich spürte, »wie wär’s mit einem Lunch? Ich bin mir nie sicher, ob ein solcher Rundgang Appetit
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