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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter
Autoren: Amanda Cross
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stets ein weitgehend republikanischer Geist geherrscht; nicht gerade reaktionär, verstehen Sie, aber selbstsicher und irgendwie dem rechten Flügel zugehörig. Es ist verblüffend, wie wenig echte Unterstützung Präsident Nixon, seine Politik und besonders sein Vizepräsident nicht nur bei den Schülerinnen findet, sondern auch bei deren Eltern. Und diese Mädchen stehen schließlich für einen Teil der prominentesten Familien unseres Landes. Natürlich sollen die Lehrer nicht mit den Schülern über Politik diskutieren, aber das ist leichter gesagt als getan heutzutage.«
    »Nun, diese Mädchen repräsentieren überwiegend das Establishment der Ostküste – jene Leute, die Nixon nie versucht hat, auf seine Seite zu ziehen. Ist Politik häufig ein Thema, wenn man es überhaupt Politik nennen kann?«
    »Die Mädchen nennen das Überlebensstrategien – ich weiß nicht mehr, wer diese Bezeichnung aufgebracht hat. Manche Poster sind sehr deutlich oder schlichtweg vulgär. (›Make love not babies‹ hat vor einiger Zeit heftige Diskussionen ausgelöst.) Viele Lehrer wollten Poster grundsätzlich verbieten, aber Miss Tyringham bestand darauf, sie hängen zu lassen, solange sie nicht eindeutig obszön sind. Wir sind umgeben von Bob Dylan und den Beatles. Aber die Mädchen fühlen sich wohl, nehme ich an. In diesem Stock sind die Ergebnisse des Kunstunterrichts ausgestellt; ich vermute, die waren vor Jahren auch nicht anders.«
    »Himmel, ja«, sagte Kate und blickte sich um. »Ein Porträt von jemandem mit Schneeflocken – ich weiß noch, wie ich so etwas mal gemalt habe. Mir war weiße Farbe auf das Gesicht getropft, das ich gerade malte, und ich konnte sie nicht mehr wegbekommen. Manches ändert sich nie. Und das«, fügte sie hinzu, »ist die Materialkammer.«
    »Ich nehme an, sie verbirgt eine besonders aufregende Erinnerung.«
    »Eigentlich eine traurige, aber trotzdem muß ich jedesmal kichern, wenn ich daran denke. Ich war in der Mittelstufe, und wir hatten einen hochqualifizierten deutschen Mathematiklehrer. Zweifellos jemand, der vor Hitler geflohen war. Er wußte sehr viel und wäre vielleicht sogar in der Lage gewesen, das so zu erklären, daß ein Haufen kichernder Elfjähriger es verstanden hätte. Aber er war unerträglich aufgeblasen und moralisch und wetterte ständig gegen die verdorbene amerikanische Jugend im allgemeinen und unseren Mangel an Benehmen, Hirn und Aufmerksamkeit im besonderen. Heute würde man sagen, er konnte keine Beziehung zur Gruppe aufbauen. Eines Tages stapfte er hinaus, um Papiere für eine Prüfung zu holen, mit der er uns für unsere Sünden bestrafen wollte; wir glitten geschlossen zur Tür hinaus und schlossen ihn in der Materialkammer ein. Dann gingen wir zurück ins Klassenzimmer und beugten uns unschuldig und still über unsere Bücher. Irgendwann fielen seine Schreie einem Lehrer auf.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Seltsamerweise gar nichts. Wir warteten auf die schreckliche Vorladung ins Rektorat, aber sie kam nicht. Er war eine Woche lang krank, und dann kam Weihnachten; wir fühlten uns so mies, daß wir zusammenlegten und ihm einen Obstkuchen kauften. Nach den Ferien hatten wir einen neuen Mathematiklehrer, schrecklich modern, der uns immer um eine Lektion voraus war: er verstand Kinder besser als Dezimalzahlen. Was für Monster Kinder doch sind. Und trotzdem waren wir nicht wirklich unfreundlich, nur verwirrt.«
    Anne Copland zeigte Kate die Seminarräume, die frisch gestrichen waren; in jedem stand ein Tisch mit Stühlen, und Bücherschränke säumten die Wände. »Wir wollten um Himmels willen keine Klassenzimmeratmosphäre«, erklärte Anne. »Es hat sich herausgestellt, daß die Umgebung den halben Erfolg ausmacht. Das hier wird Ihr Reich sein.« Sie öffnete die Tür zu einem momentan leeren Raum. Die Worte »Ein Hoch auf Antigone« bedeckten eine Wand, und darunter hing ein Poster mit einem Gedicht:
     
    Miss Fansler und Antigone -
    Was ist das bloß für ’ne Idee?

Macht sie es wie Tiresias
    Und liefert ein paar Thesen ab?
    Oder hat Kreon ihr gesagt,
    Daß unsere Meinung auch gefragt?
     
    »Nun sind Sie vorgewarnt«, sagte Anne und sah Kate ein wenig beklommen an. »Ich hatte keine Ahnung davon. Hoffentlich sind Sie nicht beleidigt.«
    »Beleidigt nicht«, sagte Kate. »Nur verschreckt.«
    Als die beiden schließlich das Erdgeschoß erreichten, fühlte Kate sich etwas bedrückt. Sie war nicht nur ein wenig beleidigt, was sie geleugnet, und verschreckt,
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