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Schottische Engel: Roman (German Edition)

Schottische Engel: Roman (German Edition)

Titel: Schottische Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Christa Canetta
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sie verzweifelt. ›Ich habe so darum gekämpft, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen, und nun liege ich hier, und morgen geht der Engel über den Ladentisch, und ich komme mit leeren Händen zurück.‹
    Mit Tränen der Enttäuschung in den Augen schlief sie wieder ein und träumte von einem alten, grauhaarigen Mann, der in ihre Wohnung gekommen war, um ihr ein Notizbuch zu bringen, das sie in einer Telefonzelle vergessen hatte. Ein reicher, alter Mann, der in einem Cadillac mitsamt Chauffeur vor ihrem Haus vorgefahren war. Nach einer längeren Unterhaltung hatte er ihr eine Stellung in seinem Haus angeboten. Sie hätte seine Sammlung antiker Kunst begutachten sollen, weil er keinem fremden Experten traute und selbst nichts davon verstand. Aber sie hatte das Angebot abgelehnt. Ein fremder Mann, ein Ausländer – sie wurde wieder wach. ›Richtig‹, überlegte sie, ›er war Schwede, er hieß Christian Södergren. Das war also nicht nur ein Traum‹, dachte sie, inzwischen hellwach. Seine Visitenkarte hatte er auf ihren Tisch gelegt, und dann war er gegangen und hatte gesagt: »Wir sehen uns wieder.«
    Vor dem Fenster verbreitete der Morgen ein schwaches, graues Licht. Das Gewitter war weitergezogen. Mary dachte an ihren Bruder Thomas, der immer viel Arbeit hatte, wenn ein Gewitter die Tiere verschreckte. Er war Tierarzt in den Lammermuir Hills und betreute dort die Schafherden von drei großen Zuchtbetrieben, weil nach dem Studium das Geld nicht für eine eigene Praxis reichte. ›Ach ja, das Geld, das hatten wir nie‹, dachte sie. Sie liebte ihren Bruder, vielleicht weil sie so mit dem harten Leben hatten kämpfen müssen.
    Mary stammte aus einem alten, verarmten schottischen Clan nördlich der Southern Uplands. Während der Machtkämpfe zwischen Highlands und Lowlands im 18. Jahrhundert hatten die wohlhabenden Clans viel Geld in die kriegerischen Auseinandersetzungen investiert, und viele Familien hatten dabei alles verloren: ihr Ansehen, ihren Reichtum und ihr Land. Zu ihnen gehörten die Ashtons.
    Um nach den Bürgerkriegen zu überleben, hatten sie alles verkauft, das Haus, das Land, die Macht. Sie zogen an die Ostküste, handelten mit Schiffen und Schafen und versuchten, sich in Nordamerika eine neue Existenz aufzubauen. Zurück blieb der Familienzweig der Ashtons in Edinburgh arm, aber stolz.
    Dann kam Marys Vater, ein Urenkel des Clanoberhaupts, bei dem Krieg um die Falklandinseln ums Leben. Die Mutter wurde krank und starb ein Jahr nach ihrem Mann, und zurück blieben Thomas und Mary, zwei unmündige Teenager, die sehr schnell lernen mussten, auf eigenen Füßen zu stehen und mit dem Leben fertig zu werden. Sie waren wie ihre Vorfahren, stolz und strebsam, tolerant und mutig und immer ehrlich. Eigenschaften, die ihnen nicht nur Freunde bescherten, sondern auch Feinde. Wer die Geschwister nicht mochte, hielt sie für arrogant und eingebildet, wer sie kannte und akzeptierte, hatte treueste Freunde. Die beiden verkauften das elterliche Anwesen, um ihre Berufsausbildung zu finanzieren, und zogen in zwei kleine Mietwohnungen.
    Tom studierte Tiermedizin, Mary Kunstgeschichte. Beide jobbten in ihrer freien Zeit, und beide hatten öfter Hunger als ein sattes Gefühl im Magen. Aber sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel und legten dennoch größten Wert auf Selbstständigkeit. Keiner erwartete Rücksicht vom anderen, und keiner wagte es, den anderen zu bevormunden. Das fing mit den getrennten Wohnungen an und endete bei den finanziellen Problemen. Das Familienschicksal hatte sie zusammengeschweißt, aber persönliche Freiheit war ihnen am wichtigsten.
    Nach dem Studium ging Thomas in die Lammermuir Hills, um sich den größten schottischen Schafzüchtern anzuschließen und deren Tiere medizinisch zu betreuen. Es war eine harte Arbeit, aber er bekam einen festen Lohn und sparte jeden Penny, um sich eines Tages die ersehnte eigene Praxis leisten zu können.
    Mary blieb in Edinburgh und bekam nach langem Suchen die Arbeit im ›Museum of Art History‹.
    Und nun sollte sie ihren ersten großen Auftrag erledigen. Sie hatte sich lange und gründlich darauf vorbereitet. Sie hatte die anderen beiden Engelskulpturen studiert, die zu dem Zyklus gehörten und die im Besitz des Museums waren. Sie musste wissen, ob die endlich aufgetauchte Skulptur echt war, ob sie auf rechtmäßigem Wege zur Versteigerung gelangt war oder aus Hehlerhänden stammte und ob der vorgegebene Preis gerechtfertigt war. Der Zyklus, einst von
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