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Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Titel: Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Autoren: Karl Olsberg
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   Selektieren (umkreisen) Sie immer die erste Zahl in jeder Reihe und nehmen Sie diese als Startzahl für die nächste Generation.
    Was ist passiert? Aller Wahrscheinlichkeit nach haben Sie sich geweigert, dieses langweilige Spiel mitzuspielen und das Blatt tatsächlich auszufüllen. Jeder kann sich leicht ausrechnen, wie die Tabelle nach dem Spiel aussieht. Wenn die Idealzahl um weniger als 25 von der Startzahl abweicht, haben Sie sie nach einer genau berechenbaren Zahl von Generationen erreicht. Wenn nicht, liegt die selektierte Zahl der 12. Generation um genau 24 dichter an der Idealzahl als die Startzahl.
    In jedem Fall erfolgt die Anpassung an die Idealzahl wesentlich schneller als in der ersten Spielvariante. Der Ausschluss des Zufalls bei Mutation und Selektion hat also einen beschleunigenden Effekt.
    Mit Evolution hat dieses zielgerichtete Vorgehen auf den ersten Blick nichts zu tun. Mathematisch gesehen haben wir jedoch lediglich einen Spezialfall des Evolutionsprinzips betrachtet, der so in der Natur nie vorkommt:
    -    Es herrscht vollständige Information darüber, wie die ideale Anpassungsform (die Idealzahl) aussieht.
    -    Jedes Zufallselement bei Mutation und Selektion ist ausgeschlossen.
    Gibt dieser Spezialfall die Situation bei der Entwicklung technischer Produkte zutreffend wieder? Wohl kaum. Betrachten wir einige Fakten:
    -    Die weitaus meisten Produkte, die im Lebensmittelhandel neu eingeführt werden, verschwinden nach spätestens einem Jahr wieder aus den Regalen.
    -    80 Prozent neu gegründeter Firmen gehen innerhalb der ersten 5 Jahre pleite oder werden wieder geschlossen.
    -    Die größten technologischen Umwälzungen des letzten Jahrhunderts - Automobil, Computer, Internet - wurden praktisch von niemandem korrekt vorausgesehen. Berühmt geworden ist der Ausspruch von IBM-Gründer Thomas Watson aus dem Jahr 1943: »Ich glaube, dass es auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben wird.« Dieser oft zitierte Satz ist in sich ein schönes Beispiel für die Evolution von Zitaten, denn weder hat Thomas Watson IBM gegründet (er war lediglich bis 1956 der Vorstandsvorsitzende), noch lässt sich nachweisen, dass er diesen Satz je gesagt hat - das vermeintliche Zitat geht vermutlich auf einen SPIEGEL-Artikel aus dem Jahr 1956 zurück, in dem ihm diese Aussage nur indirekt zugeschrieben wird. Aber sie symbolisiert trotzdem sehr schön, dass kaum jemand die durch den Computer verursachte Revolution in ihrem vollen Umfang vorausgeahnt hat, was ohne Zweifel den Tatsachen entspricht.
    All dies deutet darauf hin, dass bei der Entwicklung neuer Produkte eine Menge »Versuch und Irrtum« angewendet wird: Die Produktentwickler probieren etwas Neues aus, und entweder es »funktioniert« am Markt, oder es funktioniert nicht.
    Um den Zufall bei der Entwicklung von Produkten vollkommen auszuschließen, müsste, wie in unserem langweiligen Spiel, vollkommen klar sein, wohin ein Produkt entwickelt werden muss. Es müsste vollständige Information über das »Idealprodukt« - die perfekte Kombination von Produktmerkmalen - herrschen, und zwar unter der Nebenbedingung der technischen Machbarkeit.
    Dies ist natürlich in der Praxis unmöglich. Verschiedene Käufer haben meist unterschiedliche Vorstellungen von ihrem Idealprodukt. Der eine Autokäufer beispielsweise ist kostenbewusst und achtet vor allem auf einen niedrigen Benzinverbrauch. Ein anderer will möglichst große Sicherheit, ein dritter legt Wert auf die Optik. Und natürlich will der kostenbewusste ebenso ein sicheres, schickes Auto, wie der sicherheitsbewusste Geld sparen will - nur eben mit unterschiedlicher Gewichtung.
    Um das Idealauto zu bauen, müsste man also im Prinzip jedem Kunden sein eigenes Spezialfahrzeug konstruieren. Mindestens müsste man aber die genaue Gewichtung der Merkmale bei allen Käufern kennen, um das Produkt mit dem maximalen Absatzerfolg berechnen zu können. Dummerweise verändert sich diese Gewichtung auch noch laufend und hängt beispielsweise davon ab, was die Konkurrenz anbietet. Auch aktuelle Ereignisse, wie etwa ein steigender Ölpreis, haben einen Einfluss auf die Gewichtung, genau wie die sich verändernden Umweltbedingungen in der biologischen Evolution.
    Ein weiteres Problem sind ungewollte Nebeneffekte. Selbst wenn vollkommen klar ist, in welche Richtung ein bestimmtes Produktmerkmal entwickelt werden muss, kann es passieren, dass diese Entwicklung unvorhergesehene
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