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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee
Autoren: Wladimir Kaminer
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ersten sieben Glücksspielautomaten schraubte er sich eigenhändig aus dem Müll zusammen. Auf der Schönhauser Allee fanden sich genug Kunden, die seine Maschinen regelmäßig mit ihrem Geld fütterten. Eriks Traum vom Wohlstand ging langsam in Erfüllung, doch nun litt er verstärkt unter Einsamkeit.
    Jedes Mal, wenn er bei uns vorbeischaute, beklagte er sich über sein ödes Privatleben.
    »Ich finde nie eine richtige Frau!«, seufzte er.
    »In den ‘Schönhauser Arcaden’ findest du alles«, antwortete ich automatisch. Das ist eigentlich ein Werbespruch des Kaufhauses: »Bei uns finden Sie alles«, steht auf dem großen Plakat, auf dem ein Mann mit einer zu ihm passenden Frau und zwei Kindern – einem großen Jungen und einer kleinen Tochter – glücklich lächelt. Das Bild lässt vermuten, dass der Mann seine wunderbare Familie, ebenso wie sein ganzes Outfit gerade in den Arcaden erworben hat und deswegen vor Freude strahlt. Doch sicher nicht wegen ein Paar Schuhen. Jedes Mal, wenn ich gefragt werde, wo findet man dies oder das, sage ich, ohne nachzudenken: »In den Arcaden.« Dieses Kaufhaus ist die Zaubermuschel des Bezirks.
    Erik lacht aber nur über meinen Einkaufstipp.
    Zwei Wochen später, wie es in einem Film üblich ist, traf ihn der Schicksalsschlag: Er verliebte sich unsterblich in die Parfümverkäuferin Larissa aus der »Douglas»-Parfümeriefiliale – in den »Schönhauser Arcaden«. Jeden Tag ging er nun hin, um ein wenig mit der Frau zu plaudern und ein paar kleine Parfümartikel zu kaufen. Das war ein teurer Spaß! Larissa erwies sich als eine sehr verwöhnte Frau und erwartete von Erik ganz besondere Geschenke: Parfüm, Kleider und Schmuck fand sie banal.
    »Sie will mit mir nicht mal ins Kino gehen«, beschwerte sich Erik.
    »Ihr müsst nicht ins Kino, ihr seid selbst großes Kino«, unterstützte ich Larissa.
    »Ich muss mir etwas Besonderes einfallen lassen«, meinte Erik.
    Er überlegte nicht lange, schraubte eines Tages seine Automaten auseinander, nahm das Geld heraus und fuhr nach Moskau. Dort kauft er für Larissa in einem Observatorium einen Stern im Wert von 500,– Dollar. Das war ein unsichtbarer Stern, ein sichtbarer war erst ab 3000,– Dollar zu haben. Dafür bekam Erik ein richtiges Zertifikat, dass er der einzige Besitzer und Herrscher eines kleinen Sternes im Sternbild der Waage war, mit dem er nun machen konnte, was er wollte. Rein theoretisch natürlich. Er konnte diesem Stern selbst einen Namen geben, ihn jemandem schenken oder ihn weiterverkaufen. Nur ankucken konnte er ihn nicht, weil es eben ein unsichtbarer Stern war.
    Erik nannte seinen Stern Larissa und schenkte das Zertikat der Parfümverkäuferin von »Douglas«. Solch einer romantischen Geste konnte Larissa nicht widerstehen und ging mit Erik ins Kino. »Hast du eigentlich noch etwas Geld übrig?«, fragte sie ihn besorgt, »wir müssen nämlich ein Teleskop kaufen.«
    »Das brauchen wir nicht«, erwiderte Erik, »du bist mein Stern, und ich möchte, dass du immer neben mir leuchtest.«
    Sie schwiegen und schauten auf die Leinwand des Colosseum-Kinos Nummer 9, wo gerade »Star Wars – Die dunkle Bedrohung« lief.

Junggesellen und Familienwirtschaft
    Drei große Familien leben in unserem Haus an der Schönhauser Allee: eine vietnamesische Familie mit drei Kindern und einer Oma, eine moderne islamische mit drei Frauen und einem Mann und eine russische – meine. Die drei weiteren rein deutschen Haushalte bestehen aus Junggesellen. Direkt unter uns wohnt Hans, ein Mann Ende vierzig; uns gegenüber eine junge sportlich-disziplinierte Frau; ein Stockwerk höher eine junge lässige.
    Der alte Junggeselle Hans gibt viel Geld für die Einrichtung seiner Wohnung aus. Er hat einen modernen Tisch mit einem Loch in der Mitte, aus dem eine große Pflanze herauswächst, außerdem mehrere Lavalampen, ein Futonbett und ein Riesenaquarium mit Umwälzpumpe und allem was dazugehört. Er ist ein offener Mensch und interessiert sich für die schönen Künste. Neulich erwarb er für viertausend Mark ein abstraktes Gemälde, Öl auf Leinwand, das er im Fernsehen gesehen hatte. Es erinnerte ihn an seine Ex-Freundin. Ansonsten ist er sehr sparsam. Hans hat mehrere Liebesgeschichten auf Lager, alle mit tragischem Ausgang: Entweder wurde die Frau verrückt, oder sie wanderte nach Amerika aus, fiel unter die Straßenbahn, heiratete einen Schwarzen in Stettin oder verschwand auf andere Art aus seinem Leben. Seine Wohnung riecht leicht
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