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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding!
Autoren: Peter Boehm
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war nicht angenehm.
    Und in der ganzen Zeit war es nichts mit: Alle wollen die Welt besser machen, aber niemand interessanter. Das war überhaupt nicht merkwürdig. Die Knackis fanden es nicht merkwürdig. Und ich schon gar nicht. Lasst sie uns alle besser machen. Geht das? Ließe sich das einrichten?
    Mann, du denkst schon wieder zu viel. Komm schon! Geh einfach durch das Tor. Mach einen Schritt. Fertig.
    Aber zuerst erst einmal: Atme durch. Atme tief ein. Füll deine Lungen mit frischer Luft. Atme es ein. Du bist jung. Du bist klug. Die Welt steht dir offen. Ah, Leben!
    Funktioniert das?
    Da fällt mir ein anderer Tor-Moment ein, den Fello erzählt hat nach seiner Zeit bei der Bundeswehr. Er war dort mit fast einhundert anderen. Gymnasium. Abitur im Mai. Eingezogen am 1. Juli. Ein ganze Kompanie von Gymnasiasten. Die sich ein Jahr durchquälten. Im Gegensatz zu den Anderen in den anderen Kompanien. Für die die Bundeswehr etwas war, was gar nicht so schlecht sein musste. Die blieben und dort ihr Geld verdienten. Die daraus ein Leben machten. Oder was sie dafür hielten.
    Auf jeden Fall: Endlich war der Tag gekommen. Der letzte Tag, die letzte Stunde. Nie mehr das alles. Das war's, Sie verstehen! Der Kompaniechef selbst lässt es sich nicht nehmen seine Kompanie der Abiturienten zum Tor zu marschieren. Hurensohn, der er ist.
    Fello und die anderen marschieren also. Er kann schon das Tor sehen. Und die hinter ihm natürlich auch. In den ersten Reihen fangen sie an zu rennen. Fello hinterher. Er hört ein Murren hinter sich. Ist ihm egal. Er rennt. Und hält erst an, als er hinter dem Tor ist. Hat er sich umgedreht? Keine verdammte Ahnung! Er ist draußen. Und glaubt es fast nicht.
    Aber warum sind die gerannt? Ganz sicher nicht, um die Qual um jeden möglichen Moment zu verkürzen. Nein, nicht deshalb sind sie gerannt. Die sind gerannt, weil sie eine Heidenangst hatten, die Hurensöhne überlegen es sich vielleicht noch anders.
    Der Blödmann am Tor jetzt wartet noch auf das Plazet von der Gefängnis-Leitung. Oder ihn stört der leere vergitterte Transporter, der vor dem Tor wartet. Vielleicht wartet er auch, bis es genau neun Uhr und null Sekunden ist. Was weiß ich. Auf jeden Fall stehe ich ein paar Schritte neben dem Transporter und warte darauf, dass er den Knopf drückt, der das Tor öffnet.
    Ich schaue ihn nicht an. Ich vermeide akribisch seinen Blick. Er ist nur ein Rädchen im Getriebe, aber man weiß ja nie, besser ihn nicht gegen sich aufbringen. Besser nichts anbrennen lassen. Und: Noch bin ich nicht draußen.
    Und nach der Bundeswehr? Frei, endlich frei! Wie war der Moment, als Fello endlich aus dem Tor raus war und auf dem Parkplatz stand. Wie hat er sich gefühlt?
    Er hat keine Erinnerung daran. Nichts. Gar nichts! Nur dass er ein paar Augenblicke vorher durch das Tor gerannt ist. Danach: Leere.
    Wie gibt es das? Wieso erinnerte er sich deutlich an den Augenblick der Pein, nicht aber an den der ersten Freiheit? Und bedeutete das nicht: Wirst du, nachdem du dreieinhalb Jahre einen Moment herbeigesehnt hast wie Freiheit in Farbe, wirst du ihn dann genießen können?
    Das saust mir jetzt durch den Kopf. Wird es mir so gehen wie Fello? Kann ich wieder der Alte werden? Kann ich das alles abschütteln? Kann ich wieder normal leben, nach dem, was hier war? Das ist das, wovor ich jetzt Angst habe. Dass ich aus dem Tor trete und mich nur mehr an all das erinnere, was war, mir aber nicht mehr vorstellen kann, was noch vor mir liegt.
    Ich bin nicht sicher, dass mir das jetzt hilft, was Felder gesagt hat, als wir beim Mascara-Dieb und seinen Schlager-Schergen waren. Wie war das noch? Es ist nicht wichtig, ob eine Erfahrung positiv ist oder negativ, ob sie dir gefällt oder nicht. Wichtig ist, dass sie einen Eindruck hinterlässt, am besten einen bleibenden. Hauptsache, du hast überhaupt noch was gespürt. Hauptsache: Es hat sich angefühlt wie Leben.
    Wahrscheinlich ist diese Theorie nicht im Knast entstanden, denke ich mir jetzt, sondern irgendwo im Warmen. Vielleicht in einem Jugendzimmer in Schlummbach, ist mein Verdacht.
    Der Schließer kommt jetzt aus seinem Häuschen. Er nickt mir kurz zu. Er hat jetzt wohl alles. Das Tor geht langsam auf. Ich gehe einfach raus ohne mich umzusehen.
    Leben: Ein Wohnhaus, ein Hof, ein Parkplatz mit frisch gewienerten Autos. Die Heimspieler sind auf jeden Fall noch da. Die sind nirgends hingegangen. Na ja, Leben!
    Die Seidelstraße. Ein paar Autos fahren durch die Morgenstille.
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