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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Oft hatte ich die Fähigkeit bewiesen, recht präzise große Träume zu formulieren, die alle anderen für verrückt und unerreichbar hielten, ich jedoch verwirklichen konnte. Eine Sterling-Professur in Mathematik ging weit über jeden solchen Traum hinaus – ich genoss es jedoch als späten, aber passenden Abschluss eines »Marsches auf den Parnass«, der einen derartig schillernden und verwinkelten Verlauf genommen hatte. Dass ich die Berufung nicht als den Augenblick, in dem eine einzelgängerische Larve sich in einen Schmetterling des Establishments verwandelt, erlebte, lag vielleicht an der einstudierten Formlosigkeit des Ereignisses: Der Präsident von Yale rief an, dann brachte die Campuspost einen Computerausdruck mit der Urkunde, und zum Nachmittagstee der Fakultät wurde Champagner serviert. Das war alles; nichts von Bedeutung änderte sich. Dazu ließe sich vielleicht noch sagen, dass die Unizeitschrift Alumni Review geplant hatte, meine Ankunft 1987 zu würdigen, aber keine Eile gezeigt hatte: Tatsächlich wartete sie damit so lange, dass sie die erst kurz zurückliegende Sterling-Professur und meine anstehende Emeritierung gleich auch noch würdigen konnte. Die fehlende Diskontinuität hatte einen tieferen Grund: Ich war schon in Yale und hatte keinen erklärten Feind.
    So war Yale ein mitreißender Erfolg, wo Harvard als Misserfolg zu sehen ist. Wie lässt sich das erklären? Im Hinblick auf Kriterien wie Auszeichnungen und Mitgliedschaft in Akademien war der Unterschied zwischen den beiden mathematischen Fakultäten gering, aber ich traf auf eine vollkommen unterschiedliche Grundstimmung. In den 1930er-Jahren war die Fakultät in Yale durch einen bitteren Zwist zwischen zwei führenden Persönlichkeiten – einem Norweger und einem Schweden – erschüttert worden, die verschwägert waren, aber zu entschiedenen Feinden wurden und jedermann dazu drängten, sich für eine Seite zu entscheiden. Die Erinnerung an dieses dunkle Zeitalter war und bleibt Ansporn für ausgeprägte Kollegialität.

Isaac Newton Institute
    Das Isaac Newton Institute for Mathematical Sciences in Cambridge (Großbritannien) hat einige Ähnlichkeit mit dem Mittag-Leffler-Institut in Schweden, ist aber größer und deckt eine weitere Spanne ab. 1999 hielt es von Januar bis April ein Programm über Fraktale ab.

© Benoît B. Mandelbrot Archives

    Die Universität Cambridge bot mir freundlicherweise eine Rothschild-Gastprofessur an, musste das Angebot jedoch zurückziehen, als sie herausfand, dass ich das dort geltende Ruhestandsalter um zehn Jahre überschritten hatte. Doch das Gonville and Cajus College machte mich zum G.C. Steward-Gastfellow. Was für ein Erlebnis! Außerdem ernannte mich das Cavendish Laboratory zum Scott-Lehrbeauftragten in Physik. Zwischen diesen Vorlesungen und vielen Seminaren hatte ich alle Hände voll zu tun. Die Cajus-Fellowship schloss ein möbliertes Haus ein; da ich seit Tulle nicht mehr mit dem Fahrrad gefahren war und keinen neuen Versuch wagte, diese Fähigkeit wiederaufleben zu lassen, hatte ich lange Fußwege zwischen dem Haus, dem Newton Institute und dem College zu bewältigen; mein Arzt war sehr erfreut.
    Als ich eigentlich gehen wollte, teilte man mir formlos mit, ich könne ein langfristiges Gaststipendium an einem anderen College haben, falls ich daran interessiert sei. Aliette und ich waren beide sehr in Versuchung, doch da tauchte Yale mit der Sterling-Professur auf, bei der eine Ablehnung nicht infrage kam, und später kamen dann Enkel, die uns ins andere Cambridge in Massachusetts brachten.

28
Hat meine Arbeit die erste breite Theorie der Rauheit begründet?
    Wie kann es sein, dass für das Internet, das Wetter und den Aktienmarkt dieselbe Methode anwendbar ist? Warum berühre ich, ohne das speziell angestrebt zu haben, so viele verschiedene Aspekte einer solchen Vielzahl verschiedener Dinge?
    Es war ein wichtiger Wendepunkt in meinem Leben, als ich bemerkte, dass etwas, was lange in Fußnoten festgestellt worden war, eigentlich auf die erste Seite gehörte. Ohne mir dessen bewusst zu sein, hatte ich mich darauf eingelassen, eine Theorie der Rauheit aufzustellen. Nehmen wir zum Beispiel Farbe, Lautstärke, Schwere und Hitze. All das ist jeweils Gegenstand eines Zweigs der Physik. Die Chemie ist voll mit Säuren, Zuckern und Alkoholen; all das sind Vorstellungen, die aus sinnlichen Wahrnehmungen abgeleitet sind. Rauheit ist ebenso wichtig wie all die anderen rohen Sinneswahrnehmungen,
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