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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Vorstellung an – die Idee der Grenze Brown’scher Bewegung. In der anti-visuellen Welt von gestern war keiner auf dieses Konzept gekommen. Das Bild »visualisierte« keine bestehende Frage. In diesem Fall musste erst das Bild erscheinen und dann, als »Bildlegende«, die Frage.
    Mit der Herausarbeitung der Grenze einer Brown’schen Insel aus der Brown’schen Bewegung war etwas erreicht, doch weniger, als mit dem nächsten Schritt gelang: Er quantifizierte diese Ähnlichkeit durch die Einbeziehung eines numerischen Maßes für Rauheit. (Im Gegensatz zu Freunden der Algebra, die Bilder verachten, akzeptieren die wahren Geometer Zahlen; wir sind einem Fehler gegenüber aufgeschlossener!)
    Die visuelle Untersuchung der Küstenlinie dieser Brown’schen Insel brachte mich auf die Vermutung, dass ihre fraktale Dimension 4/3 beträgt. Wir maßen sie umgehend und kamen näher an 4/3, als wir erwartet hatten. In diesem Moment vermutete ich, dass der Wert 4/3 mathematisch exakt sei.
    Dieses Experiment war in zweifacher Hinsicht erfolgreich. Es bestätigte, dass selbst in einer harten Wissenschaft das Auge darauf geschult werden kann, neue Vermutungen wahrzunehmen, die einer algebraischen Analysis möglicherweise auf ewig entgangen wären. Außerdem zeigte es der Mathematik einen neuen Weg, dem sie folgen konnte. Heutzutage könnte die Grenze der Brown’schen Bewegung als natürliches Konzept angezeigt werden. Doch ohne eine sorgfältige visuelle Untersuchung hätte dieses Konzept nicht bis zur fraktalen Dimension 4/3 weiterentwickelt werden können.

Meine 4/3-Vermutung treibt die Suche nach einer schwer greifbaren Wahrheit an
    Meine Freunde bei IBM bewegten sich von Brown’schen zu anderen Clustern weiter. Sie begannen mit dem kritischen »Perkolationscluster«, einer berühmten mathematischen Struktur, die für die statistische Physik sehr interessant ist. Es weist die zentrale Komplikation auf, dass die Grenze auf zwei verschiedene Arten definiert werden kann, die einmal erneut 4/3 und außerdem 7/4 ergeben. Beide Werte wurden zunächst numerisch gewonnen, sind aber mittlerweile theoretisch bewiesen – nicht mithilfe isolierter Argumente, die keinem rechten Zweck dienen, sondern auf eine Weise, die sich anderswo als ziemlich nützlich erwiesen hat. Da sich das fortgesetzt hat, wurde eine enorme Spannweite geometrischer Formen, die bislang physikalisch, aber nicht streng mathematisch diskutiert worden waren, in der reinen Mathematik attraktiv; wie sich zeigte, waren die Beweise sowohl sehr schwierig als auch sehr interessant.
    Um eine rein mathematische Vermutung zu beweisen, reicht keine Anzahl von Bildern oder Beispielen aus, doch der Wert 4/3 ist so simpel, dass ein strenger Beweis leicht zu sein schien – und tatsächlich versprachen wunderbar fähige Freunde, die Vermutung über Nacht zu beweisen. Sie verschoben die Lieferung des Beweises auf die folgende Woche, den folgenden Monat, das folgende Jahr – und letztlich auf das 21. Jahrhundert und das dritte Jahrtausend.
    Der Beweis erwies sich als außerordentlich verzwickt; als nach 18 Jahren der Suche endlich der Durchbruch erzielt wurde, erregte das enormes Aufsehen und zog große Begeisterung und Aktivität nach sich. Die drei Mathematiker, die für diese Leistung ihre Fähigkeiten vereinigt hatten, gewannen sofort höchste Anerkennung, und 2006 erhielt der Jüngste des Trios die prestigeträchtige Fields-Medaille, die wohl höchste Auszeichnung für außergewöhnliche mathematische Perspektiven. Und der schwierige Beweis schuf nicht nur sein eigenes, sehr aktives Untergebiet der Mathematik, sondern beeinflusste auch andere, weit entfernte Untergebiete, weil er viele scheinbar unzusammenhängende Vermutungen plötzlich belegte.
    Es war die erste Fields-Medaille in der Wahrscheinlichkeitstheorie, aber in den Jahren davor hatte meine zentrale Vermutung in Bezug auf die Mandelbrot-Menge schon zu zwei dieser Auszeichnungen geführt. Auf ironische Weise hat meine Missachtung der gewöhnlichen Arbeitsteilung gelehrt, dass in der Mathematik die Chancen für das Aufstellen und das Beweisen von Vermutungen größer sind, wenn mehr Leute beteiligt werden.

Mein Werk erreicht ein neues Publikum
    Meine Aktivitäten haben mich rund um die Welt geführt – ich habe Vorträge und Vorlesungen gehalten, mich mit Gruppen getroffen und meine Bilder gezeigt.
    Von Menschen aller Altersstufen höre ich oft Kommentare wie: »Darf ich Ihnen die Hand drücken? In unserem Land wird
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