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Schockwelle

Schockwelle

Titel: Schockwelle
Autoren: Clive Cussler
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trotziger Miene ihre Angst und musterte Scaggs. Ihre Augen waren so blau wie ein Bergsee.
    Scaggs nahm sie zum erstenmal wahr, und er fragte sich, wieso er nicht aufmerksamer gewesen war. Dann widmete er sich wieder dem Wesentlichen und wandte sich an die Sträflinge.
    »Unsere Lage ist nicht gerade aussichtsreich«, fing er an. »Ich muß euch in aller Offenheit mitteilen, daß das Schiff dem Untergang geweiht ist, und da uns die See sämtliche Boote geraubt hat, können wir es nicht verlassen.«
    Seine Worte wurden unterschiedlich aufgenommen. Leutnant Sheppards Soldaten standen still und regungslos da, während viele Sträflinge ein jämmerliches Weinen und Wehklagen anstimmten.
    Etliche fielen auf die Knie, da sie meinten, das Schiff werde jeden Augenblick auseinanderbrechen, und flehten die himmlischen Heerscharen um Rettung an.
    Ohne ihren kläglichen Schreien Gehör zu schenken, fuhr Scaggs mit seiner Ansprache fort. »So mir ein gnädiger Gott beisteht, will ich versuchen, jede Seele auf diesem Schiff zu retten. Ich gedenke ein Floß zu bauen, das so groß ist, daß es uns alle trägt, bis wir von einem vorbeikommenden Schiff gerettet oder an der australischen Küste an Land gespült werden. Wir werden so viel Nahrung und Trinkwasservorräte an Bord nehmen, daß wir damit zwanzig Tage überdauern können.«
    »Wenn Ihr die Frage gestattet, Kapitän, aber wie lange wird es Eurer Schätzung nach dauern, bis man uns findet?«
    Die Frage wurde von einem hünenhaften Mann mit verächtlicher Miene gestellt, der die anderen um einen ganzen Kopf überragte. Er war im Gegensatz zu seinen Gefährten vornehm gekleidet und sorgfältig frisiert.
    Ehe er antwortete, wandte sich Scaggs an Leutnant Sheppard.
    »Wer ist der Stutzer?«
    Sheppard beugte sich zum Kapitän. »Ein gewisser Jess Dorsett.«
    Scaggs zog die Augenbrauen hoch. »Jess Dorsett, der Wegelagerer?«
    Der Leutnant nickte. »Der nämliche. Hat bestimmt ein Vermögen verdient, eh ihn die Mannen der Königin gefaßt haben. Der einzige von diesem ganzen Gesindel, der lesen und schreiben kann.«
    Scaggs wurde augenblicklich klar, daß sich der Wegelagerer als wertvoll erweisen könnte, falls die Lage auf dem Floß bedrohlich werden sollte. Immerhin konnte es jederzeit zu einer Meuterei kommen. »Ich kann Euch nur die Aussicht auf Überleben bieten, Mr. Dorsett. Darüber hinaus verspreche ich nichts.«
    »Und was erwartet Ihr von mir und meinen verderbten Freunden hier?«
    »Ich erwarte, daß jeder Mann, der dazu fähig ist, beim Bau des Floßes anpackt. Ein jeder, der sich drückt oder verweigert, wird auf dem Schiff zurückgelassen.«
    »Habt ihr gehört, Jungs?« rief Dorsett den Sträflingen zu.
    »Arbeit oder Tod.« Er wandte sich wieder an Scaggs. »Keiner von uns ist Seemann. Ihr werdet uns jeden Handgriff erklären müssen!«
    Scaggs deutete auf den Ersten Offizier. »Ich habe Mr. Ramsey beauftragt, die entsprechenden Pläne für den Bau des Floßes anzufertigen. Aus den Reihen der Besatzung, soweit sie nicht an den Pumpen oder zum Kalfatern benötigt wird, wird ein Arbeitstrupp aufgestellt, der euch genaue Anweisungen erteilt.«
    Inmitten der anderen Sträflinge wirkte Jess Dorsett mit seinen einsdreiundneunzig wie ein Riese. Breite, kräftige Schultern unter einer vornehmen Samtjacke. Lange, kupferrote Haare, die offen über den Kragen hingen. Er hatte eine große Nase, hohe Wangenknochen und ein energisches Kinn. Trotz zweier entbehrungsreicher Monate, die er im Bauch des Schiffes hatte zubringen müssen, sah er aus, als käme er geradewegs aus einem Londoner Salon stolziert.
    Bevor sie einander den Rücken zukehrten, wechselten Dorsett und Scaggs einen kurzen Blick. Ramsey, der Erste Offizier, spürte die Spannung zwischen beiden Männern. Der Tiger und der Löwe, dachte er versonnen. Er fragte sich, wer am Ende ihres Leidensweges die Oberhand behalten mochte.
    Glücklicherweise beruhigte sich die See wieder, denn das Floß mußte im Wasser zusammengezimmert werden. Sie fingen damit an, die Baustoffe über Bord zu werfen. Das eigentliche Grund gerüst bildeten die Überreste der Masten, die man mit starken Tauen miteinander verzurrte. Die Weinfässer und die für die Tavernen und Lebensmittelgeschäfte von Sydney bestimmten Mehltonnen wurden geleert und als Schwimmkörper zwischen den Hölzern vertäut. Obenauf nagelte man dicke Planken, so daß eine Art Deck entstand, das man dann mit einer hüfthohen Reling umgab. Zwei ersatzweise mitgeführte
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