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Schockstarre

Schockstarre

Titel: Schockstarre
Autoren: F Schmöe
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Gänge. Sie fragte sich, ob der Chirurg Hardos Bierbauch meinte, als er von Reserven sprach.
    »Ich kann nicht viel Zeit erübrigen«, sagte Diestler und drückte Katinka vor den Türen der Intensivstation die Hand. »Heute Abend sind soviele Unfälle passiert, meistens kleine Sachen, aber auch ein paar komplizierte Knochenbrüche. Es ist spiegelglatt draußen. Da war der Lungenschuss beileibe das Spektakulärste.«
    »Na toll«, sagte Katinka.
    »Sie waren das, oder?«
    »Was?«
    »Sie haben ihn aus der Schusslinie geholt. Beim Militär würden Sie jetzt einen Orden kriegen.«
    »Ich scheiße auf Orden«, gab Katinka zurück und spürte die Wut wieder. »Und woher wissen Sie das überhaupt?«
    »Krankenhäuser sind gut organisierte Kaffeekränzchen. Jemand sagt Ihnen Bescheid, wenn Sie zu ihm können.« Diestler nickte ihr zu und verschwand.
     
    Hardos Gesicht war fahl, grau unter dem kalten Licht. Ein Schlauch leitete durchsichtige Flüssigkeit in eine Vene an seiner rechten Hand, ein anderer kroch in seine Nase und versorgte ihn mit Sauerstoff. Sein Brustkorb war mit einer dicken Bandage verschnürt, seitlich führte ein Schlauch weg. Eine Manschette am Oberarm blähte sich in regelmäßigen Abständen auf und maß den Blutdruck. Verschiedene Apparate piepten und plirrten. Irgendein Gerät blubberte.
    Katinka schloss für einen Augenblick die Lider und stellte sich vor, von Vogelkäfigen voller exotischer gefiederter Freunde umgeben zu sein, die ihre Lieder in Sprachen pfiffen, aus denen sie nicht übersetzen konnte.
    Sie berührte Hardos freie Hand.
    »Er schläft«, sagte der Pfleger im Hinausgehen. »Wecken Sie ihn nicht auf.«
    Katinka streichelte die Hand auf dem Laken. Sie sah sie in der Dunkelheit wieder nach der Pistole tasten. Die Hand fühlte sich warm an. Hardos Atem ging regelmäßig. Katinka legte den Kopf neben seine Hand und gab sich einem Dämmerschlaf hin, eingelullt von Hardos Atemzügen und dem Fiepen und Surren der Geräte. Irgendwann wachte sie auf, weil etwas an ihren Haaren zog. Sie schlug die Augen auf.
    Hardos Finger bewegten sich. Seine große Hand lag auf ihrem Gesicht und kraulte ihre Haarsträhnen. Sie verharrte bewegungslos und suchte in seinem Gesicht nach Leben.
    »Hardo«, wisperte sie.
    Er blinzelte, schickte ein winziges Lächeln und schloss die Augen wieder.
    Katinka weinte, ohne sich um Tränen und Rotz zu scheren. Als der Pfleger kam und sie behutsam an der Schulter berührte, stand sie ohne Widerstand auf und ging mit ihm nach draußen.
    »Schafft er es?«, fragte sie.
    »Ich bin kein Hellseher.« Er reichte ihr ein Taschentuch. »Aber ich denke schon. Die Verletzung war nicht so schwer, wie es den Anschein hat.«
    Katinka bat um ein Telefon.
     
    »Tom?« Sie konnte nicht laut sprechen, neben ihr standen zwei Schwestern über Papiere gebeugt und diskutierten. Immer wieder sahen sie auf und starrten zu Katinka hinüber.
    »Katinka!«, rief er.
    Gut, er war lebendig. Und sein Handy war auch wieder aufgeladen.
    »Wo bist du?«, fragte sie.
    »Immer noch in Hof. Ich musste übernachten, habe heute wieder den ganzen Tag an dem neuen Projekt gearbeitet und bin trotzdem nicht viel weiter gekommen. Heimfahren kann ich sowieso nicht. Draußen ist es glatt wie auf der Curlingbahn.«
    »Hardo ist angeschossen worden.«
    »Was?«
    Katinka fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
    »Er hat einen Lungenschuss abgekriegt und ist operiert worden.«
    »Katinka, rede! Was ist mit dir?«
    »Ich …« Sie stutzte. Im Hintergrund hörte sie eine Tür gehen. »Wo steckst du denn?«
    »In einer Pension in Hof«, antwortete Tom. »Es ist alles o.k. Was meinst du mit angeschossen! Wie geht es ihm!«
    »Tom, ist da jemand bei dir?«
    Er machte eine verdutzte Pause.
    »Nein. Jetzt erzähle endlich.«
    Katinka seufzte.
    »Es gab eine Schießerei. Der Fall ist gelöst. Aber wir haben uns alle getäuscht und auf den falschen Täter gesetzt.«
    Die Schwestern sahen von ihren Papieren hoch und warfen sich vielsagende Blicke zu.
    »Sobald die Straßenverhältnisse besser sind, fahre ich nach Coburg. Übernachtest du im Hotel?«, wollte Tom wissen.
    Wieder das Geräusch im Hintergrund. Eine Tür wurde geschlossen. Ganz leise. Aber hörbar.
    »Oder im Krankenhaus. Tom, wer ist da bei dir?«
    »Niemand«, sagte Tom irritiert.
    Katinka seufzte.
    »Gute Nacht.«
    Sie legte auf und wählte die einzige Coburger Telefonnummer, die sie im Kopf hatte. Es war mitten in die Nacht und dauerte logischerweise eine Weile,
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