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Schnittmuster

Titel: Schnittmuster
Autoren: Slater Sean
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Rücksitz.
    Striker nahm den Strauß und verließ den Wagen.
    Dann tat er, was er seit jener schrecklichen Halloweennacht mindestens ein Dutzend Mal gemacht hatte – er trat an den Rand der Brücke und ließ das Geschehen mental Revue passieren. Jede gottverdammte Sekunde. Er schaute zu der Stelle, wo der Van geparkt hatte, wo Shen Sun und die Mädchen standen, er erinnerte sich an den dichten nächtlichen Nebel, gespenstisch erhellt von den Scheinwerfern des Lieferwagens.
    Inzwischen lief das alles wie ein Film in seinem Kopf ab, nonstop. Die Szenen verfolgten ihn tagsüber, nachts hatte er deswegen Albträume, und morgens wachte er erschlagen auf.
    Â»Jacob.«
    Er blinzelte benommen und drehte sich zu Felicia um, die noch im Wagen saß. »Was ist?«
    Â»Du warst ganz weit weg.«
    Â»Ich hab … nachgedacht.« Er ging ein Stück die Brücke hinunter, kam zurück, ging die Logik seiner Taktik durch – wie er sich dem Van genähert hatte, seine Position zu dem Schützen, wie er improvisiert hatte, als Courtney vornübergestürzt war und Shen Sun sich Raine geschnappt hatte. Er rekapitulierte das alles wieder und wieder und wieder, bis sein Kopf dröhnte und das Blut in seinen Schläfen hämmerte.
    Ausgepowert näherte er sich dem Geländer, wo Shen Sun Raine mit in den Tod gezogen hatte. Immer wenn er bislang hergekommen war, hatte er ihr Blumen an das Geländer gelegt. Heute trat er direkt an das Geländer und blickte in die reißenden grünen Fluten. Die Blumen entglitten seinen Fingern, Striker sah ihnen nach, zählte die grässlichen Sekunden, bis sie auf dem Wasser auftrafen.
    Viereinhalb.
    Striker runzelte die Stirn. Das Entsetzen, das Raine in diesen viereinhalb Sekunden empfunden haben musste, bevor sie auf der eisigen, harten Wasserfläche auftraf und von der tückischen Strömung mitgerissen worden war … Er zählte mental die Sekunden, wieder und wieder. Eine weitere schreckliche Aufgabe lag noch vor ihm. Patricia Kwans Zustand stabilisierte sich, und Dr. Adler beabsichtigte, sie aus dem künstlichen Koma zu holen.
    Dann würde Striker sie über Raines Tod informieren müssen. Er hätte zwar einen anderen Cop hinschicken können, aber das war nicht seine Art. Raines Tod war seinem Versagen zuzuschreiben.
    Er wollte Patricia das so ehrlich mitteilen.
    Felicia trat neben ihn, legte ihre Hand begütigend auf seinen Rücken. Er schüttelte sie ab, nicht weil er sich gegen ihre Berührung sträubte, sondern weil seine Rippen noch nicht verheilt waren – sie waren angeknackst von den Schüssen, die auf die kugelsichere Weste geprallt waren.
    Â»Es ist vorbei«, sagte Felicia. »Weder Raine noch Shen Sun Soone kommen zurück. Du musst das akzeptieren, Jacob.«
    Striker sagte nichts. Er blickte zu dem schmalen sandigen Uferstreifen, wo die Froschmänner Raines Leiche gefunden hatten. Sechs Stunden nach ihrem Sturz.
    Shen Suns Leiche war bis heute nicht entdeckt worden.
    Striker bezweifelte, dass sie je gefunden würde. Der Amokläufer hatte sich wie ein Geist in sein Leben eingeschlichen und war genauso wieder verschwunden – mysteriös wie ein Phantom.
    Der Gedanke machte Striker schaudern, und er erinnerte sich spontan an die letzten Worte des Schützen:
    Â»Geschichte ist Kreislauf. Vergangenheit ist auch Zukunft.«
    Striker begriff die versteckte Botschaft in diesen Worten: dass sich ihre Wege eines Tages wieder kreuzen würden, in diesem oder in einem anderen Leben. Es war ein altes Sprichwort. Chinesischer Aberglaube. Und Striker hoffte, dass es nicht zutraf. Verdammt, er hatte schon genug gelitten – es reichte für dieses und für jedes weitere Leben.
    Aber wenn doch, dann wäre er vorbereitet.
    Felicia umarmte ihn sanft. »Bist du okay?«
    Er nickte. »Ich bin topfit. Ich lebe.« Er riss sie in seine Arme und gab ihr einen langen, stürmischen Kuss. Als er sich von ihr löste, waren ihre Wangen rosig, auf ihren Lippen zeigte sich ein sinnlich entrücktes Lächeln.
    Â»Heißt das, wir sind wieder zusammen?«, fragte sie.
    Striker wackelte mit den Augenbrauen und grinste. »Sagen wir mal so, du wirst sehr, sehr lange keine Schokolade mehr brauchen.«

Danksagung
    Mein besonderer Dank geht an meinen Partner, Constable Kirk »O. M. T.« Longstaffe, der das Manuskript als Erster gelesen und mir konstruktives Feedback gegeben
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