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Schnittmuster

Titel: Schnittmuster
Autoren: Slater Sean
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gnadenlos.
    Peng-peng-peng-PENG!, knallten die Schüsse durch die Nacht.
    Gefolgt von lautem Kreischen. Die Mädchen kreischten und schrien.
    Striker rollte sich nach links. Auf einen Arm gestützt, suchte er den Seitenstreifen ab. Er entdeckte Shen Sun, der wie ein alter, gebrechlicher Mann über das Pflaster humpelte. Zu Raine. Sein linker Arm hing schlaff herunter, sein rechtes Bein versagte ihm den Dienst.
    Striker hob seine Waffe und zielte abermals auf den Mann. Er konnte jedoch nicht schießen – sonst hätte er womöglich Raine verletzt. Das Mädchen kreischte vor Entsetzen, als Shen Sun sie von hinten packte, hochriss und vor sich zerrte.
    Â»Bitte!«, schrie sie. »BITTE!«
    Shen Sun ignorierte sie. Er hinkte zum Brückengeländer, seine Arme fest um das Mädchen geschlungen.
    Â»Geschichte ist Kreislauf, Gwailo . Vergangenheit ist auch Zukunft.«
    Er durfte keine Zeit verlieren. Striker fixierte sein Ziel und drückte ab, vernahm jedoch nur das gottverdammte Klick-Klick-Klick eines leeren Magazins.
    Shen Sun grinste. Grinste, als fielen Schmerz, Wut und Angst mit einem Mal von ihm ab – als hätte er seinen Frieden gefunden. Einen Wimpernschlag lang wirkte er ruhig, erhaben – harmoniebeseelt. Dann warf er seinen Oberkörper zurück.
    In einem schnellen, grässlichen Moment stürzten Shen Sun und Raine über das Brückengeländer in die Tiefe und wurden von bleigrauer Dunkelheit verschluckt. Dann war es vorbei, bis auf den Verzweiflungsschrei des jungen Mädchens, der anklagend in Jacob Strikers Ohren nachhallte und der ihn zeitlebens verfolgen würde.

Epilog

101
    Drei Wochen später, als Striker morgens auf den Besucherparkplatz des G. F. Strong Rehab Centre fuhr, vibrierte sein Blackberry in der Gürteltasche. Der Anrufer war Sergeant Ronald Stone aus der Personalabteilung. Er ging nicht ran, sondern stellte das Handy aus. Er hatte heute genug anderes zu tun und keine Lust, sich mit dem Personalrat rumzuschlagen.
    Er schloss den Wagen ab und schlenderte zum Hauptportal. Die Sonne schien an einem strahlend blauen Himmel, trotzdem war es saukalt. Am Vortag hatte es geschneit, es war definitiv Winter. Die Zedern im Eingang waren weiß bestäubt und mit Weihnachtslämpchen geschmückt.
    Rot und blau.
    Der Schnee unter Strikers Stiefeln knirschte auf dem Klinikboden, hinterließ kleine schmutzige Rinnsale auf den Fliesen. Der Detective ging vorsichtig, um nicht auszurutschen. Im Rehab-Flügel blieb er vor dem Weihnachtsbaum stehen, der neben dem Schwesternzimmer stand, und sog den würzigen Kiefernduft ein. Dann entdeckte er die Bewegungstherapeutin, eine Inderin mittleren Alters. Sie war zwar nur einen Meter fünfzig groß, aber dafür gebaut wie ein Flugzeugträger.
    Â»Mr. Striker.« Sie lächelte freundlich.
    Â»Janeeta«, sagte er. Er deutete mit einem vielmeinenden Nicken auf Courtneys Zimmer. Seine Nerven lagen blank. »Wie geht es ihr?«
    Â»Sie macht gute Fortschritte, Mr. Striker.«
    Â»Aber wird sie jemals wieder normal gehen können?«
    Janeeta blickte auf das Klemmbrett in ihrer Hand, blätterte ein paar Seiten durch, bevor sie begütigend seinen Arm drückte. »Gehen Sie doch einfach zu ihr, und fragen Sie sie selbst, wie sie sich fühlt.«
    Er nickte, dann ging er durch den Gang zu Zimmer 14.
    Â»Hey, Kleines«, sagte er beim Eintreten.
    Courtney saß auf dem Bett und schaute aus dem Fenster. Sie trug einen dunkelroten Trainingsanzug von Roots . Als sie seine Stimme hörte, drehte sie sich zu ihm um, ihre Miene unergründlich.
    Â»Schnee«, sagte sie knapp.
    Â»Ja, das erste Mal seit zwei Jahren. Weihnachten steht vor der Tür.« Er deutete auf ihren Trainingsanzug. »Die Farbe passt dazu. Sehr festlich.«
    Courtney lächelte nicht. »Es hat nicht mehr geschneit, seit Mom tot ist.«
    Die Worte trafen Striker wie ein Schlag in die Magengrube. Ihm blieb die Luft weg. Weil sie natürlich Recht hatte. Es hatte an dem Abend das letzte Mal geschneit, als Amanda zu ihrer Freundin am Nordufer gefahren und nicht mehr zurückgekehrt war. Es kam ihm noch immer so vor, als wäre es erst gestern gewesen. Striker wünschte sich, er hätte das alles längst verarbeitet.
    Er trat an das Bett und tätschelte Courtney begütigend die Schulter – die gesunde. Er starrte auf den verschneiten Parkplatz, sann darüber nach, was seine Tochter
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