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Schneewittchen-Party

Schneewittchen-Party

Titel: Schneewittchen-Party
Autoren: Agatha Christie
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gesehen‹ und ihre Schwester sagte: ›Red doch kein albernes Zeug, Joyce‹ und eins von den älteren Mädchen sagte: ›Das fantasierst du dir ja nur zusammen‹, und Joyce sagte: ›Es stimmt aber. Ich hab’s gesehen. Bestimmt. Ich hab jemand gesehen, wie er einen Mord beging‹, aber niemand glaubte ihr. Alle lachten, und sie wurde sehr böse.«
    »Haben Sie ihr geglaubt?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »So«, sagte Poirot, »aha.« Er schwieg einen Augenblick und trommelte mit dem Finger auf die Tischplatte. Dann sagte er: »Ich überlege gerade – sie hat keine Einzelheiten erwähnt – keine Namen?«
    »Nein. Ich glaube, die Mütter und die anderen Erwachsenen waren ziemlich ärgerlich auf sie. Aber die Mädchen und Jungen lachten sie einfach aus. Sie sagten Sachen wie: ›Was du nicht sagst, Joyce, wann war denn das? Warum hast du uns nie was davon erzählt?‹ Und Joyce rief: ›Weil ich’s vergessen hatte, es ist ja schon so lange her.‹«
    »Aha! Hat sie gesagt, wie lange her?«
    »›Vor Jahren‹, hat sie erklärt. ›Warum hast du’s denn damals nicht der Polizei gesagt?‹, hat dann ein Mädchen gefragt. Ich glaube, das war Ann – oder Beatrice. Ein ziemlich selbstbewusstes, eingebildetes Mädchen.«
    »Aha. Und?«
    »Sie hat gemeint: ›Weil ich damals nicht wusste, dass es ein Mord war.‹«
    »Eine sehr interessante Bemerkung«, sagte Poirot und richtete sich in seinem Sessel auf.
    »Ich glaube, sie geriet schließlich ein bisschen durcheinander«, sagte Mrs Oliver. »Einerseits wollte sie erklären, und anderseits war sie wütend, weil alle sie neckten. Sie fragten immer wieder, warum sie nicht zur Polizei gegangen sei, und sie antwortete immer wieder: ›Weil ich damals nicht wusste, dass es ein Mord war. Erst viel später ist mir plötzlich aufgegangen, dass es ein Mord war, den ich gesehen hatte.‹«
    »Aber niemand glaubte ihr. Sie auch nicht. Aber als Sie sie ermordet auffanden, hatten Sie plötzlich das Gefühl, dass sie vielleicht doch die Wahrheit gesagt hatte?«
    »Ja, genau. Ich wusste nicht, was ich tun sollte oder was ich überhaupt tun konnte.«
    Poirot nickte bestätigend. Er schwieg kurze Zeit und sagte dann: »Ich muss Ihnen eine ernste Frage stellen, und bitte, überlegen Sie, bevor Sie antworten. Glauben Sie, dass dieses Mädchen wirklich einen Mord gesehen hat? Oder glauben Sie, dass sie nur gedacht hat, sie habe einen Mord gesehen?«
    »Das Erstere, meine ich«, sagte Mrs Oliver. »Zuerst habe ich’s nicht geglaubt. Ich dachte nur, sie erinnere sich an irgendetwas, das sie mal irgendwo gesehen hatte, und übertreibe nun maßlos, damit es wichtig und aufregend klingen sollte. Sie sagte richtig mit Vehemenz: ›Ich hab es gesehen. Jawohl. Jawohl. Jawohl!‹ Und deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, weil das einzige Motiv für ihre Ermordung nur sein kann, dass es wirklich ein Mord war und sie ihn sah.«
    »Das würde gewisse Folgerungen nach sich ziehen. Eine wäre, dass einer der Gäste den damaligen Mord begangen hat und dieselbe Person auch am Nachmittag dabei gewesen sein muss, als Joyce ihre Bemerkung machte.«
    »Sie glauben doch nicht, dass ich mir das alles eingebildet habe?«, sagte Mrs Oliver, »dass alles nur in meiner blühenden Fantasie stattgefunden hat?«
    »Ein Mädchen ist ermordet worden«, sagte Poirot. »Von jemandem, der kräftig genug war, um ihren Kopf in einem Eimer unter Wasser festzuhalten. Ein sehr hässlicher Mord, und ein Mord der sozusagen unter Zeitdruck begangen wurde. Jemand wurde bedroht, und dieser jemand schlug zu, sobald es möglich war.«
    »Joyce kann nicht gewusst haben, wer den Mord begangen hat, bei dem sie Zeuge war«, sagte Mrs Oliver. »Sie hätte doch kaum all das gesagt, wenn der Betreffende im Zimmer gewesen wäre.«
    »Nein, ich glaube, da haben Sie Recht. Sie hat einen Mord gesehen, aber nicht das Gesicht des Mörders. Wir müssen darüber hinaus denken.«
    »Ich verstehe nicht genau, was Sie meinen.«
    »Es könnte doch sein, dass jemand, der am Nachmittag dabei war, als Joyce ihre Anschuldigung vorbrachte, etwas von diesem Mord wusste, wer ihn begangen hat, vielleicht in enger Beziehung zu dieser Person stand. Und es könnte sein, dass dieser Jemand dachte, dass er der Einzige sei, der weiß, was seine Frau oder seine Mutter oder seine Tochter oder sein Sohn begangen hat. Oder es hätte eine Frau sein können, die wusste, was ihr Mann oder ihre Mutter oder ihre Tochter oder ihr Sohn begangen hat. Jemand, der dachte, dass
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