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Schneewittchen-Party

Schneewittchen-Party

Titel: Schneewittchen-Party
Autoren: Agatha Christie
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Sie sollte dann beim Kilterbury Ring gefunden werden – bei dem Doppelaxt-Zeichen, mit einem goldenen Becher neben sich –, ein rituelles Opfer. Aber ich hatte ihm Nicholas Ransom und Desmond Holland an die Fersen geheftet.«
    »Wahnsinnig«, sagte Judith Butler. »Er muss wahnsinnig gewesen sein.«
    »Madame, Ihre Tochter ist in Sicherheit – aber etwas würde ich gern wissen.«
    »Ich glaube, Sie verdienen, alles zu wissen, was ich Ihnen sagen kann, Monsieur Poirot.«
    »Sie ist Ihre Tochter – war sie auch Michael Garfields Toc h ter?«
    Judith schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Ja.«
    »Aber sie weiß es nicht?«
    »Nein. Sie hat keine Ahnung. Dass wir ihm hier begegnet sind, ist purer Zufall. Ich lernte ihn kennen, als ich ein junges Mädchen war. Ich verliebte mich wahnsinnig in ihn – und dann bekam ich Angst.«
    »Angst?«
    »Ja. Ich weiß nicht, warum. Nicht davor, dass er irgendetwas tun könnte, aber einfach vor seinem Wesen. Seiner Sanftheit, hinter der sich Kälte und Skrupellosigkeit verbargen. Ich hatte sogar vor seiner Leidenschaft für die Schönheit und für seine Arbeit Angst. Ich sagte ihm nicht, dass ich ein Kind erwartete. Ich verließ ihn – ich ging weg, und das Kind wurde geboren. Die Geschichte von meinem Mann, der Pilot und bei einem Unfall umgekommen war, habe ich erfunden. Ich zog ziemlich rastlos von Ort zu Ort. Nach Woodleigh Common kam ich eigentlich mehr oder weniger durch Zufall. Ich kannte Leute in Medchester, bei denen ich Arbeit als Sekretärin finden konnte.
    Und dann kam eines Tages Michael Garfield und arbeitete im Steinbruch. Es hat mir eigentlich nichts weiter ausgemacht. Und ihm auch nicht. Das war alles lange vorbei, aber später fing ich doch an, mir Gedanken zu machen, obgleich mir gar nicht klar war, wie oft Miranda in den Park ging – «
    »Ja«, sagte Poirot, »es war ein Band zwischen ihnen. Eine natürliche Anziehung. Ich habe auch die Ähnlichkeit erkannt – nur Michael Garfield, der Anhänger Luzifers, war böse, und Ihre Tochter ist unschuldig, und in ihr ist nichts Böses.«
    Er ging hinüber zum Schreibtisch und holte einen Umschlag, aus dem er eine zarte Bleistiftzeichnung hervorzog.
    »Ihre Tochter«, sagte er.
    Judith betrachtete die Zeichnung. Sie war signiert: »Michael Garfield.«
    »Er zeichnete sie gerade am Bach«, sagte Poirot, »im Park. Er zeichnete sie, sagte er, um sie nicht zu vergessen. Er fürchtete sich vor dem Vergessen. Aber das hätte ihn nicht gehindert, sie zu töten.«
    Dann deutete er auf ein mit Bleistift geschriebenes Wort in der oberen linken Ecke.
    »Können Sie das lesen?«
    Sie entzifferte es langsam.
    »Iphigenie.«
    »Ja«, sagte Poirot, »Iphigenie. Agamemnon opferte seine Tochter, um für seine Schiffe günstigen Wind zu bekommen, der ihn nach Troja bringen sollte. Michael hätte seine Tochter geopfert, um einen neuen Garten Eden schaffen zu können.«
    »Er wusste, was er tat«, sagte Judith. »Ob er es wohl jemals bereut hätte?«
    Poirot antwortete nicht. Vor seinem inneren Auge stand das Bild eines außerordentlich schönen jungen Mannes, der neben einem Megalithen lag, in seiner Hand immer noch den goldenen Becher, aus dem er selbst den Gifttrank getrunken hatte, als plötzlich die Vergeltung über ihn hereinbrach, um sein Opfer zu retten und ihn der Gerechtigkeit auszuliefern.
    So war Michael Garfield gestorben – ein passender Tod, dachte Poirot –, aber ach, kein Garten würde auf einer Insel im griechischen Meer blühen…
    Stattdessen gab es Miranda – am Leben und jung und schön. Er küsste Judith die Hand.
    »Auf Wiedersehn, Madame, und grüßen Sie Ihre Tochter von mir.«
    Dann ging er zu Mrs Oliver.
    »Gute Nacht, chère Madame. Lady Macbeth und Narziss. Es war außerordentlich interessant. Ich muss Ihnen dafür danken, dass Sie mich auf diesen Fall aufmerksam gemacht haben – «
    »Ja, ja«, sagte Mrs Oliver aufgebracht, »ich bin natürlich wieder an allem schuld!«
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