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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben
Autoren: Anne Chaplet
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bißchen seltsam manchmal, aber sonst ganz o.k.« Gümüs jagte den betagten Streifenwagen die kurvenreiche Landstraße Richtung Waldburg hoch.
    Kosinski klammerte sich an den Haltegriff über der Tür. »Es schadet nichts, mal nachzufragen.« Und es würde auch nicht schaden, die Geschwindigkeit den Gegebenheiten anzupassen, dachte er. Zum Beispiel den Nerven eines älteren Herrn auf dem Beifahrersitz.
    »Er hat mal in den Geldautomaten der Sparkasse in Ottersbrunn gepinkelt.« Gümüs klang amüsiert.
    »Das ist nicht komisch, das ist ein Straftatbestand.«
    »Schlechte Laune?« Gümüs sah ihn von der Seite an, statt auf die Straße zu gucken. Paß auf, wo du hinfährst, hätte er fast gebrüllt. Er klammerte sich noch fester an den Griff.
    »Jens lebt offenbar noch bei den Eltern«, sagte Atilla nach einer Weile, als ob er ein Versöhnungsangebot machen wollte.
    »Wie alt ist der junge Mann?«
    »Dreiundzwanzig.« Gümüs bremste scharf, als ein Fahrradfahrer vor ihnen ausschwenkte.
    »Freundin?«
    »Nicht, daß ich wüßte.«
    Sie fuhren heil in Waldburg ein. Das grauverputzte Haus am Kirchplatz brauchte einen Anstrich und machte einen abweisenden Eindruck. Der Garten war ungepflegt, die Rolläden heruntergelassen. Kosinski drehte sich um. Wenn man am Gartentor stand, sah man auf die Kirche, auf eine Bank unter einer Platane und auf die Stelle, an der Sophie Bachmann sich angezündet hatte.
    Als Gümüs klingelte, hörte man eine Weile gar nichts und dann heiseres Husten.
    »Ja?« In der Frage lag geballtes Mißtrauen. Die Frau, die in der Tür stand, trug ein weites T-Shirt mit dem Aufdruck »Superstar«, hatte ein teigiges Gesicht unter blondierten Haaren und sah nach zuviel Alkohol und Zigaretten aus. So roch sie auch.
    »Dürfen wir für einen Moment eintreten?« Gümüs lächelte gewinnend und hielt ihr seinen Ausweis hin.
    »Die Polizei! Die hilft ja doch nicht, wenn’s mal nötig ist.«
    »Lassen Sie es einfach darauf ankommen, gnädige Frau!«
    Gümüs übertrieb manchmal, fand Kosinski. Aber immerhin durfte man nähertreten.
    Die Wohnung war düster. Das war auch besser so, denn sie schien in einem trostlosen Zustand zu sein. Im Wohnzimmer, das mit dem von Plüschtieren besetzten Sofa und dem riesigen Fernseher bereits vollgestellt wirkte, roch es nach Bier und kaltem Rauch. Die beiden Aschenbecher auf dem Couchtisch quollen über. Frau Peters schien das Bier direkt aus der Flasche zu trinken, die sie sich aus einer Kiste am Boden griff, neben der leere Chipstüten lagen. Auf eine nicht wirklich einladende Geste der Hausherrin hin lehnte Gümüs dankend ab.
    Immerhin stellte sie den Fernseher leiser und ließ sich dann wieder zu den lila Teddies und rosa Plüschhunden aufs Sofa fallen. Beim Licht einer Nachmittagssoap betrachtet, sah Sabine Peters, die gerade mal fünfzig sein mußte, wie die Karikatur einer rüstigen siebzigjährigen aus. Trotz der blonden Haare, trotz Lippenstift und lackierten Fingernägeln wirkte sie freudlos und vom Leben enttäuscht.
    »Kommen Sie wegen der Hexe? Ich war es nicht. Sie hat es selbst getan. Jahre zu spät.«
    Endlich kam Leben in das verwüstete Gesicht – reine und unverfälschte Schadenfreude.
    »Sie meinen Frau Bachmann?«
    »Wen sonst?«
    »Natürlich hat sie es selbst getan«, sagte Kosinski behutsam, der das unbestimmte Gefühl hatte, daß die Nerven der Frau blank lagen. »Wir suchen Ihren Sohn, Frau Peters.« Auf ihre Reaktion war er nicht gefaßt. Sie lachte.
    »Der liegt unter der Erde. Das weiß doch jeder. Der ist tot.«
    Mit schmalen Lippen und zusammengekniffenen Augen nahm sie eine Zigarette aus der Schachtel, klopfte sie auf dem Handrücken zurecht und ließ sich von einem nach wie vor galanten Gümüs Feuer geben. Ihre Hand zitterte. Den ersten Zug nahm sie wie eine Ertrinkende. Ihre Augen glänzten, gleich, dachte Kosinski, gleich kommt eine Tränenflut. Die Frau brauchte Hilfe.
    »Wo ist Ihr Mann?«
    »Um die Ecke. Zigaretten holen.« Sie nahm noch einen Zug. Ihr Blick war zum Fernseher gegangen, auf dessen Bildschirm man strahlende Menschen sah, die Bügeleisen oder Staubsauger gewonnen zu haben schienen.
    Kosinski warf einen Blick auf Gümüs. Wehe, wenn der Bursche auch nur die Mundwinkel verzog. Aber Atilla blickte mit unbewegtem Gesicht zurück.
    »Dürfen wir uns bei Ihnen mal umsehen, Frau Peters?« Sie zuckte mit den Schultern und ließ den Arm nach rechts schwenken, so, als ob sie »Bahn frei« sagen wollte. Dabei fegte sie die
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