Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Titel: Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Witzel
Vom Netzwerk:
unter Besatzungsrecht – das wusste ich nicht – nur im Sinne der Anklage.
    Der Prozess gegen die Frauen verzögerte sich leider. Angeblich fühlte sich der zuständige Richter befangen, weil sein Gerichtspräsident in den Verfassungsschutz-Akten ebenfalls übel belastet wird. So konnte man erst mal die frechen Journalisten ohne störende Zeugen zum Schweigen verurteilen. Das war schon schwer genug: Selbst die Polizisten, auf die sich der anstößige Fragesatz bezog, hatten sich nämlich geweigert, die Reporter wegen übler Nachrede anzuzeigen. Schließlich erledigte das ein westdeutscher Vorgesetzter für sie. Reine Fürsorge, nachdem dieselben Fahnder schon vor Jahren nicht mal mit Disziplinarverfahren zu bremsen waren, als sie sich in die organisierte Vereinigungskriminalität bei der Umwandlung von volkseigenen Grundstücken in westdeutsches Privateigentum verbissen hatten. Sicherheitshalber drohte man auch ihnen noch weitere Verfahren an. Aber Druck von oben? Unvorstellbar in Sachsen, wo schon die Frage danach strafbar ist.
    Missbrauchte Mädchen, missbrauchte Polizisten – alles Einheimische wie die verurteilten Reporter. Wer wittert da keine Verschwörung? Wieso dürfen aufsässige Ostdeutsche überhaupt Rechtsmittel einlegen, wie es die Journalisten ankündigten? Das sind die Fragen, die man selbst in Sachsen ungestraft stellen darf. Ein Untersuchungsausschuss soll nun die Hintergründe ermitteln, warum bisher so wenige Hintergründe ermittelt wurden oder – wie es der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi nennt – das »Drehbuch der Scheinaufklärung zur Vertuschung«. Der hat leicht reden. Als Jurist, immun zudem und selbst von drüben. Ich dagegen will es mal vorsichtig so sagen: Wenn mir noch mal einer mit seinem Latein von der Gewaltenteilung kommt, mit Judikative, Exekutive und Legislative, vielleicht sogar noch mit der Presse als vierter Gewalt, dann kann ich nur sagen und hoffen, dass ich das Wort jetzt richtig nachgeschlagen habe: Tace, Wessi! Tace!

»Kaninchen in Australien oder Wessis in Weimar –
immer wieder zeigt sich: Werden Wesen willkürlich in eine
wehrlose Umwelt verpflanzt, breiten sie sich ungehemmt aus.«
    Stern 51/2004 über die Kamtschatka-Krabbe in Norwegen
     

Nie wieder Ostsee
     
    Auf Usedom waren Ostdeutsche noch ein paar schöne Jahre fast unter sich. Spätestens nach diesem Sommer kann man auch die letzte Insel der Glückseligen vergessen. Ein Abschied.
     
    Wie der schon guckt! Gleich wird er die Polizei rufen oder uns persönlich belehren, dass da, wo wir schon immer liegen, keine FKK-Badestelle ist. Oder will er nur fragen, was hier der Quadratmeter Handtuch kostet? Sich neben uns ausbreiten womöglich! Es sind vielleicht die letzten schönen Tage dieses Sommers. Wir müssen auf alles gefasst sein.
    Zum Glück erkennt man sie immer noch von weitem: Die ganze Familie in Weiß, Krokodile auf der Brust, gebügelte Bundfalten. Er zieht einen Bollerwagen voller Strandspielzeug hinter sich her. Seine blasse Frau sprüht ihre Kinder auf Schritt und Tritt mit irgendeiner Flüssigkeit ein, wahrscheinlich Lichtschutzfaktor 70 Plus. Barfuß – immerhin – laufen sie schon ewig hin und her, bleiben stehen, glotzen rüber, fühlen sich ertappt und finden offenbar nicht den richtigen Abstand zwischen uns und der nächsten Familie, die mindestes 50 Meter entfernt liegt.
    Geht weiter, zische ich, hier ist kein Platz mehr für Euch! Meine Frau schaut besorgt von der Super-Illu auf, die sie um ihre Brigitte gefaltet hat – schließlich wollen wir selbst auch nicht unangenehm auffallen. Unsere Jungs ducken sich hinter dem Windschutz, der schon Oma und Opa über 40 Jahre diente. Alle wissen, was jetzt wieder kommt: Vati wird gleich zum Äußersten greifen. Zu seiner ausgeleierten DDR-Badehose. Und nur meiner Familie zuliebe behalte ich sie diesmal noch ein paar Minuten länger an.
    Den ganzen Urlaub geht das schon so. Die Stimmung war im Eimer, seit wir in Wolgast vor der Peenebrücke standen. Vor uns Kölner, hinter uns Hessen, dazwischen meine Stoßgebete: Bitte nicht! Bitte nicht auch noch Usedom! Vergebens, wie ich seitdem Tag für Tag feststellen muss und mir vorkomme wie Thilo Sarrazin in seinen schlimmsten Alpträumen: Seit die Autobahn 2o fertig ist, vermehren sie sich hier ungebremst. Mieten uns die Strandkörbe weg, wenn der Strandkorbvermieter nicht auch schon einer von ihnen ist. Halten beim Bäcker den Verkehr auf, weil sie die Sprache nicht beherrschen oder

Weitere Kostenlose Bücher