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Schnarchen heilen

Schnarchen heilen

Titel: Schnarchen heilen
Autoren: Dr. Med. Berndt Rieger
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zugemacht zu haben. Er fühlte sich alldem nicht mehr gewachsen, dem Reisen, der Anspannung, dem schöpferischen Akt, der doch gerade des Ausgeruhtseins, der Stille, der Sammlung, bedurfte. Jede Nacht erwachte er hunderte Male so, und er spürte, dass er nicht mehr zur Ruhe kommen würde. Selten träumte er noch etwas anderes als die Realität: dass ihm die Kehle zugeschnürt war. Und so kam es, dass Brahms noch im besten Mannesalter eines Tages mit einem hängenden Augenlid und einem hängenden Mundwinkel aufwachte und merkte, dass ihn ein Schlaganfall ereilt hatte.
     
    Als der Bariton Georg Henschel mit Brahms in den 1880ern auf Konzertreise ging, schlief er mit dem Komponisten im selben Zimmer. Henschel wusste, dass er immer zuerst einschlafen musste, denn wenn Brahms erst einmal zu schnarchen begonnen hatte, war jede Hoffnung auf Schlaf verloren. Manchmal, wenn er zu Bett ging, sah er zu seiner Erleichterung, dass Brahms ein Buch in die Hand nahm. Dann aber blies Brahms doch seine Kerze aus, und wenige Augenblicke später hörte Henschel ihn bereits so laut schnarchen, dass er in Verzweiflung verfiel. Früh am Morgen sollte er nach Berlin abreisen, und nun würde er kein Auge zutun. Da erinnerte er sich, dass es in dem Hotel noch ein freies Zimmer gab, weckte den Portier auf und erklärte ihm die Lage. So verbrachte er eine erholsame Nacht in einem anderen Zimmer, und als er am frühen Morgen zu Brahms ins Zimmer kam, war dieser bereits wach und betrachtete ihn voller Zuneigung und Ironie, denn er ahnte, was Henschel fortgetrieben hatte. Mit gespieltem Ernst sagte Brahms dann: „Ach, Henschel, als ich erwachte und sah, dass Ihr Bett leer war, dachte ich: Siehst du, jetzt ist er davon und hat sich aufgehängt. Also wirklich, warum haben Sie nicht mit dem Stiefel nach mir geworfen?“
     
    Der Welt war Brahms einerseits ein Gott, andererseits ein gestriger Musiker, sentimental, oder, wie Hugo Wolff in einer Musikkritik anmerkte, einer, der Werke von verklärter Impotenz schuf. Der Welt war er ein Reisender, ein Unsteter, der wohl lange Zeit in Wien zubrachte und doch immer ein Außenseiter blieb. Er wohnte nur in der Stadt, weil hier die Musik zu Hause war. Tagsüber nickte er, wie schadenfroh und voller Spott vom Feuilleton registriert wurde, wiederholt im Kaffeehaus ein und wurde angeblich dabei von englischen Touristen angestarrt, die Brahms wohl von den zahlreichen Abbildungen, die sie gesehen hatten, kannten. Abends schlief er, wenn er irgendwo eingeladen war, oft zu Tische ein, und wenn man dann noch ins Theater ging, schlief er auch dort. Tagesmüdigkeit ist ja eines der vordringlichsten Zeichen eines Schlafapnoe-Syndroms Jedes Mal aber, wenn Brahms einschlief, es mochte im Sitzen oder im Hocken sein, ertönte dieses Schnarchen, erst andeutungsweise, dann, je weiter er in den Schlaf verfiel, umso lauter und schrecklicher. In den Zeitungen wurde hämisch berichtet, dass er sogar ein Konzert Gustav Mahlers, diesem von Brahms viel geschätzten Dirigentenkollegen, mit einem schnarchenden Laut unterbrochen habe, ähnlich der Pauke in Haydns „Symphonie mit dem Paukenschlag“. Solche Gemeinheiten zu lesen, während er in Kaffeehäusern saß und dermaßen müde war, dass er kaum mehr die Augen offen halten konnte, war schwer. Da war es kein Wunder, dass er als ungeduldig, kurz angebunden und gereizt galt. Er bekam zunehmend den Ruf eines Außenseiters, und vielleicht hatte das mit dem Dämon zu tun, der ihn erfasst hatte und der ihn Nacht für Nacht durch Schnarchen quälte und ihn wie ein Vampir, das sich an seinem Lebenssaft saugend bediente, jeden Morgen erschöpfter und blasser und kränker zurückließ. Da durfte es nicht verwundern, dass er sich einmal von einer Gesellschaft verabschiedete mit den Worten: „Sollte ich irgendjemanden in diesem Raum noch nicht beleidigt haben, möchte ich mich dafür in aller Form entschuldigen.“
     
    Leicht lässt sich eine Parallele zum ersten Schnarcher der Mythologie, dem griechischen Gott Dionysos, ziehen. Dionysos verhielt sich wie Brahms, und Brahms verhielt sich wie Dionysos, sofern man berücksichtigt, dass einer im Reich der Mythologie, der andere im 19. Jahrhundert sein Leben führte. Das hemmungslose und ausschweifende Saufen, Huren und Völlern, das bei Brahms als Nebenerscheinung wahrgenommen wurde, führte bei Dionysos dazu, dass man ihn zum Gott ausrief. Dafür konnte – ausgleichende Gerechtigkeit – Dionysos sein Leben lang auf der Flöte spielen,
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