Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht
Autoren: Louis Begley
Vom Netzwerk:
zu schwindeln. Ich will die Wahrheit hören: Kann ich mich in diesem Kleid zeigen, wenn ich mir etwas um die Schultern schlinge?
    Das Etwas war ein aus zwei Seidenbahnen, einer smaragdgrünen und einer weinroten, zusammengenähter Schal, den sie am ausgestreckten Arm hielt.
    Bist du sicher, daß es geht? fragte sie. Ich möchte dich nicht in Verlegenheit bringen.
    Er lächelte und schüttelte den Kopf.
    Du bist vollkommen, mit oder ohne Schal.
    Er hatte den Motor des Audi zehn Minuten lang bei eingeschalteter Heizung laufen lassen. Jetzt war der Wagen sicher mollig warm. Nur schade, daß die Vordersitze nicht mehr eine einzige Bank waren, so wie damals in dem Nash, den er sich im College für romantische Fahrten ausgeliehen hatte, sonst könnte sich Alice eng an ihn schmiegen, vielleicht an seinem Ohr knabbern. Statt dessen lag ihre Hand auf seinem Knie und teilte ihm durch wechselnden Druck Augenblicke von Panik mit, wenn sie fürchtete, die Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge würden ihn blenden, wenn massige SUVs und Kleinlaster zu dicht auffuhren und wenn an Kreuzungen übersehene Wagen plötzlich aus der Nacht auftauchten, um sich in den Verkehr einzuordnen.
    Wir sind fast da, sagte er beruhigend.
    Alles gut, wirklich. Entschuldige. Wie wird diese Party?
    Wie solche Partys meistens, nicht schlecht. Hervorragendes Essen und sehr guter Wein. Mike spart weder an Quantität noch an Qualität.
    Er erinnerte sich, daß sie nichts vergaß, keine einzige Telefonnummer und kein Datum. Sie wußte bestimmt noch, was er ihr in Paris von Mike Mansour und seinen Milliarden erzählt hatte, wie sie sich Jahr für Jahr vermehrten, selbst wenn alle anderen nur Geld verloren; von Mikes Anfängen als ägyptischer Jude, dessen Familie vor Nasser geflohen war; und von der Arbeit der Stiftung, an deren Spitze er Schmidt gesetzt hatte. Wie um zu beweisen, daß Schmidt richtig vermutet hatte, erinnerte Alice ihn daran, daß seine Geschichten von Mikes Scherzen damals von Bitterkeit durchsetzt gewesen seien. Sie fragte, ob sich das geändert habe. Ja, erwiderte er. Ich habe mich verändert, und er hat sich verändert. Er ist ein außerordentlich loyaler, enger Freund geworden. Dazu kommt, daß ich ihm unendlich viel Dank schulde. Du mußt bedenken: Ohne die Arbeit für die Stiftung, ohne die Inspektionsreise zu ihren Geschäftsstellen wäre ich 1995 nicht nach Paris gekommen, und ich hätte dich nicht wiedergesehen!
    Mike war zweimal verheiratet und ist zweimal geschieden, erzählte er weiter, aber er hatte in all den Jahren, seit ich ihn kenne, keine ständige Begleiterin. Jetzt gibt es eineDame in seinem Leben, aber das ist ein streng gehütetes Geheimnis: Caroline Canning, eine Biographin, die mit einem Romancier verheiratet ist. Sie und ihr Mann kommen zu allen Partys, die Mike gibt, und auch zu den Essen in kleinstem Kreis. Heute abend wirst du sie bestimmt sehen.
    Ist dieser Ehemann der Romancier Joe Canning? fragte Alice zögernd. Er ist einer unserer Autoren.
    Ja, es ist Joe Canning, erwiderte Schmidt. Mir war nicht klar, daß seine Romane in Frankreich veröffentlicht werden. Weiter im Text: Wer kommt noch? Ganz sicher Gil und Elaine.
    Und bei ihnen sind wir morgen abend zum Essen eingeladen?
    Er nickte. Als er sie von der Seite ansah, merkte er, daß sie sich auf die Lippen biß.
    Nach einer Pause, die ihm sehr lang vorkam, fand sie wieder Worte. Schmidtie, ich mache mir solche Sorgen, sagte sie. Wir werden eine Wunde aufreißen, die kaum geheilt ist.
    Nein, das werden wir nicht, beruhigte er sie. Mach dir keine Sorgen. Die Blackmans meinen es gut mit mir. Sie wollen, daß ich glücklich bin. Sie werden dich sehr herzlich aufnehmen. Du wirst sehen.
    Er nahm ihre Hand, küßte sie und legte sie wieder zurück auf sein Knie.
    Daß Gil, dem er so gut wie nichts verschwieg, ihm dringend geraten hatte, sich nicht von dem widerlichen Popov, der bizarren Szene in Water Mill und dem Fiasko in London abschrecken zu lassen, sondern mit aller Kraft an Alice festzuhalten, das hatte Schmidt ihr nicht erzählt, und er wußte auch nicht, ob er es ihr je verraten würde. Sie sei seine einzige Chance, glücklich zu werden, hatte Gil gesagt. Hätte er auf den Rat gehört, wäre die Wunde längst verheilt. Aber so wie es jetzt stand, empfand sie GilsEinmischung in ihr Privatleben womöglich als Kränkung. Das durfte nicht geschehen, darauf mußte er achten.
    Er fuhr langsamer und bog in die Cobb Road ein. Wer sonst noch da sein wird, ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher