Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schmetterlingsscherben

Schmetterlingsscherben

Titel: Schmetterlingsscherben
Autoren: Esther Hazy
Vom Netzwerk:
Großartig.
    «Wie geht es dir so?», fragte er und beäugte mich schräg.
    «Ganz gut», antwortete ich irritiert. Er lächelte milde. «Wenn du jemanden zum Reden brauchst…»
    «Äh. Geht schon.» Irritiert blinzelte ich mir eine Haarsträhne aus dem Auge.
    «Hör mal… Ich weiß, dass du es wirklich nicht leicht hast. Und ich verstehe, wenn du dich im Moment mehr zu den Toten hingezogen fühlst, als zu den Lebenden. Aber ein Friedhof ist wirklich kein geeigneter Ort für ein junges Mädchen wie dich, meinst du nicht?»
    Ich konnte es kaum glauben. War das etwa wirklich sein Ernst?! «Doch, ich find's da total gemütlich», erwiderte ich also sarkastisch und kreuzte die Arme vor der Brust.
    «Louise…» Sein besorgter Blick bohrte sich in mein Gesicht und mir platzte endgültig der Kragen.
    «Was ich mit meinem Leben mache, geht Sie jawohl einen Scheißdreck an!», fauchte ich und schmiss mir die Schultasche über den Rücken. An der Tür blieb ich nochmal stehen und funkelte ihn zornig an. «Ich hab übrigens ihre verstorbene Oma ausgebuddelt, ich soll sie schön grüßen!» Damit knallte ich die Tür hinter mir zu und hastete mit hochrotem Kopf den Korridor entlang. Erst als ich auf dem menschenleeren Schulhof ankam und mir der kalte Wind ins Gesicht wehte, beruhigte ich mich wieder. Was interessierte es mich, was der blöde Aschermann von mir dachte? Sollte er doch glauben, was er wollte!
    Da sowieso keine Sau mehr außer mir auf dem Platz war, verzichtete ich darauf, meine Sonnenbrille aus der Tasche zu holen und stapfte so weiter.
    Ich fuhr schnell, obwohl ich mit dem einen Fuß gehandicapt war und so nicht unbedingt sicher zum Stehen kam. Aber das war mir egal. Dieser Tag war sogar noch schlimmer, als alle anderen zuvor.
    Mein Vater war bereits zu Hause und wartete auf mich mit dem Essen, auch wenn ich kaum Appetit hatte und mir immer noch leicht übel war. Eher lustlos stocherte ich in dem Salat herum. Offenbar merkte man mir meine Laune an.
    «Ich hab was, das dich aufheitern wird!» Rüdiger strahlte, als ihm etwas einfiel. «Hier! Den hab ich im Vorgarten gefunden!» Er hielt mir den baumelnden Engelsschlüsselanhänger entgegen, der mich feindselig anblickte. Ach du Scheiße, das Ding hatte ich komplett vergessen. «Äh… Danke, Paps. Den hab ich… schon gesucht», murmelte ich ausweichend und griff nach dem kühlen Metall, ohne genauer hinzusehen.
    «Demütigend. Zutiefst verletzend. Und wirklich gemein», maulte der Engel vor sich hin. Seufzend vergrub ich ihn in meiner Hosentasche und dämpfte damit immerhin ein wenig den Wortschwall, den mein Vater sowieso nicht hören konnte.
    Der Engel war hartnäckig. Den ganzen Nachmittag über beschwerte er sich über meine grobe Art und mein unfreundliches Wesen und dass er wirklich etwas Besseres verdient hätte.
    «Gott, dann geh doch einfach!», brüllte ich irgendwann nach dem Abendessen, als mir endgültig der Geduldsfaden riss. «Oder halt wenigstens deine verdammte Fresse!!!»
    «Louise? Ist alles in Ordnung bei dir?» Rüdiger klopfte vorsichtig gegen meine Zimmertür und ich fuhr erschrocken zusammen. «Klar, Paps!», rief ich und griff nach meinem Handy, für den Fall, dass er reinkam. «Ich hab nur telefoniert!»
    «Das klang aber nicht so gut?», hakte er vorsichtig nach.
    «Ach, das ist nur jemand aus der alten Schule gewesen», stammelte ich. «Der schuldet mir noch Geld.»
    «Na gut. Aber wenn du Hilfe brauchst oder irgendwie in Schwierigkeiten steckst, würdest du es mir doch sagen, oder?»
    «Natürlich.» Ich lauschte angespannt, bis seine Schritte auf der Treppe verklungen waren und er sich wieder im Wohnzimmer ans Schreiben machte. Mein Vater war Autor, jedenfalls versuchte er, einer zu werden. Bisher hatte er allerdings noch nichts veröffentlicht. Immerhin lief es mit seinem Buchladen einigermaßen, sodass er davon leben konnte.
    «Und jetzt zu dir, du…», knurrte ich leise und starrte den Engel wütend an. «Dich gibt es nicht. Du existierst gar nicht. Ich sehe dich überhaupt nicht.»
    «Na klar gibt's mich!», flötete die Figur und drehte sich einmal um sich selbst. «Ich bin Ramona!»
    Ich stöhnte entnervt auf und warf den Kopf in den Nacken. Was hatte Herr Meineken immer gesagt? Du musst es akzeptieren. Du musst wahrnehmen, dass es ein Teil von dir selbst ist. Und dieser Teil will dir irgendetwas sagen. Hör auf dich. Geh in dich. Und erkenne, dass dieses Wesen nicht existiert.
    Ich hatte es akzeptiert. Ich wusste, dass es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher