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Schluss mit dem ewigen Aufschieben

Schluss mit dem ewigen Aufschieben

Titel: Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Autoren: Hans-Werner Rückert
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zu behalten).
|31| Sie geben Ihre Vorhaben auf und tyrannisieren sich nicht länger mit der Vorstellung, dass Sie jene Dinge machen müssten, die
     Sie all die Jahre nicht gemacht haben. Sie wechseln den Job und suchen sich einen, der Ihnen weniger Stress bereitet.
Sie entscheiden sich dafür, weiter aufzuschieben, lernen aber, das Leid und die Selbstverachtung einzugrenzen und eventuell
     sogar Spaß am Aufschieben und am Spiel mit dem Feuer zu empfinden. Sie entwickeln die Bereitschaft, etwaige negative Folgen
     Ihres Aufschiebens in Kauf zu nehmen.
    Für jede dieser Lösungen brauchen Sie Wissen, Geduld, die Bereitschaft, sich etwas mehr als bisher anzustrengen, und eine
     Portion Durchhaltewillen. Selbsterkenntnis ist nicht immer nur angenehm, aber das Bewusstsein dafür, an einer wichtigen Sache
     zu arbeiten, stellt eine Belohnung in sich selbst dar. Und wer oder was könnte wichtiger sein als Sie selbst?
    Das Aufschieben und die verlorene Zeit
    Apropos Durchhaltewillen: Den können Sie gleich anwenden. Die folgende Beschreibung eines Aufschiebers stammt aus dem Roman
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
von Marcel Proust. Sich an Prousts kunstvolle Ausdrucksweise zu gewöhnen, verlangt von Ihnen ein Quäntchen Anstrengungsbereitschaft
     – aber Sie werden dafür auch durch gelungene Schilderungen entschädigt. Proust beschreibt einen jungen Mann, der ein literarisches
     Werk hervorbringen möchte. Er selbst litt lange Jahre unter einer Trägheit, die er als krankhafte Willensschwäche auffasste,
     die im denkbar größten Gegensatz stand zu seiner Berufung als Schriftsteller und auf die er in seinen Werken immer wieder
     anspielt. Sie können in Proust also durchaus einen Experten des Aufschiebens sehen:
     
    »Wäre ich weniger entschlossen gewesen, mich endgültig an die Arbeit zu begeben, hätte ich vielleicht einen Vorstoß gemacht,
     gleich damit anzufangen. Da aber mein Entschluss in aller Form gefasst war und noch vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden
     in dem leeren Rahmen des morgigen Tages meine guten Vorsätze leichthin sich verwirklichen würden, war es besser, nicht einen
     Abend, an dem ich weniger gut aufgelegt war, für den Beginn zu wählen, dem |32| die folgenden Tage, ach! sich jedoch leider ebenfalls nicht günstiger zeigen sollten. Aber ich riet mir selbst zur Vernunft.
     Von dem, der Jahre gewartet hatte, wäre es kindisch gewesen, wenn er nicht noch einen Aufschub von drei Tagen ertrüge. In
     der Gewissheit, dass ich am übernächsten Tag bereits ein paar Seiten geschrieben haben würde, sagte ich meinen Eltern nichts
     von meinem Entschluss; ich wollte mich lieber noch ein paar Stunden gedulden und dann meiner getrösteten und überzeugten Großmutter
     das im Fluss befindliche Werk vorweisen. Unglücklicherweise war der folgende Tag auch nicht der den Dingen zugewendete, aufnahmebereite,
     auf den ich fieberhaft harrte. Als er zu Ende gegangen war, hatten meine Trägheit und mein mühevoller Kampf gegen gewissse
     innere Widerstände nur vierundzwanzig Stunden länger gedauert. Und als dann nach mehreren Tagen meine Pläne nicht weiter gediehen
     waren, hatte ich nicht mehr die gleiche Hoffnung auf baldige Erfüllung, aber daraufhin auch weniger das Herz, dieser Erfüllung
     alles andere hintanzustellen: Ich fing wieder an, nachts lange aufzubleiben, da ich nicht mehr, um mich des Abends zu frühem
     Schlafengehen zu zwingen, die feste Voraussicht des am folgenden Morgen begonnenen Werkes in mir fand. Ich brauchte, bevor
     mein Schwung wiederkehrte, mehrere Tage der Entspannung, und das einzige Mal, als meine Großmutter in sanftem, traurig enttäuschten
     Ton einen leisen Vorwurf in die Worte kleidete: »Nun? Und diese Arbeit, an die du gehen wolltest – ist davon gar keine Rede
     mehr?«, war ich böse auf sie, überzeugt, dass sie, in Unwissenheit darüber, dass mein Entschluss unwiderruflich gefasst war,
     seine Ausführung noch einmal und diesmal auf lange Zeit vertagt habe infolge der enervierenden Wirkung, die ihre Verkennung
     auf mich ausübte und in deren Zeichen ich mein Werk nicht beginnen wollte. Sie spürte, dass sie mit ihrer Skepsis unbewusst
     einen Entschluss empfindlich getroffen hatte. Sie entschuldigte sich und küsste mich mit den Worten: »Verzeih mir, ich sage
     bestimmt nichts mehr.« Damit ich den Mut nicht verlöre, versicherte sie mir, sobald ich mich richtig wohl fühle, werde sich
     die Arbeitslust ganz von allein einstellen.« (Proust, III, S.
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