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Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Autoren: Gunter Frank
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an Krebs im fortgeschrittenen Stadium leiden, ergreifen nachvollziehbar jeden Strohhalm und sollten deshalb ganz besonders sorgfältig vorTherapien geschützt werden, die ihnen die letzten Lebensmonate nichts als heftige Nebenwirkungen einbringen.
    Was passiert, wenn eine Patientin nach solchen Informationen verlangt, erzählte mir vor Kurzem eine junge Frau, bei der Brustkrebs festgestellt wurde. Sie wurde zur operativen Entfernung desTumors in einem Krankenhaus stationär aufgenommen, welches ihr als besonders patientenorientiert empfohlen worden war. Sie empfand die gesamte Betreuung vor und nach der Operation als kompetent und mitfühlend. Mit dem Operationsergebnis war sie kosmetisch auch sehr zufrieden. Nach der Operation wurde ihr mitgeteilt, dass man nun mit der Chemotherapie beginnen wolle.Weil alle vergleichbaren Patientinnen auf dieser Station dieseTherapie erhielten, stellte sie diese nicht infrage, wollte aber dennoch wissen, wie sich die Chemotherapie auf ihren Herzenswunsch, ein Kind zu bekommen, auswirken würde. Hier wurden Bedenken seitens der aufklärenden Ärzte geäußert. Erst jetzt wollte die Patientin Genaueres über die Heilungschancen mit und ohne Chemotherapie erfahren. Keiner der behandelnden Ärzte, vom Assistenten über die Oberärztin bis hin zum Chefarzt, war aber in der Lage, ihr die gewünschten Informationen zu geben, und das obwohl sie täglich diese starken nebenwirkungsreichenTherapien verordnen. Die Entscheidung der Patientin gegen die Chemotherapie und für die Möglichkeit, ein gesundes Kind auf dieWelt zu bringen, wurde akzeptiert, und sie betonte mir gegenüber, dass sie sich, was die Operation und auch die menschliche Betreuung betraf, in der Klinik sehr gut aufgehoben gefühlt hatte. Eine Erfahrung, die nicht selbstverständlich ist.
    Aus dem Krankenhaus entlassen, traf sie jedoch auf größtes Unverständnis bezüglich ihrerWeigerung, eine Chemotherapie durchführen zu lassen. Ihre Gynäkologin setzte sie unter Druck, obwohl auch sie die Chancen und Risiken der Behandlung nicht genau erläutern konnte. Eine besondere Erfahrung machte sie in der anschließenden Reha-Kur: Dass es ihr so kurz nach der Operation offensichtlich gut ging und sie eben nicht unter den Nebenwirkungen einer Chemotherapie litt wie ständige Übelkeit, Schmerzen und Erbrechen sowie Haarausfall, überraschte dieTherapeuten, was wiederum zeigt, dass eine Frau, die sich gegen eine Chemotherapie entscheidet, die absolute Ausnahme unter den Krebspatientinnen ist.
    3Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus reichte ihr die dortige Gynäkologie schließlich ein kopiertes englischsprachiges Informationsblatt per Post nach. Es handelte sich um ein Formular mit demTitel Shared Decision Making, welches mit handschriftlichen deutschen Erläuterungen versehen war. Shared Decision bedeutet, dass anhand dieses Formulars eine gemeinsame Entscheidung vonArzt und Patient erleichtert wird. In diesem Formular wurden in einfachen Grafiken die Chancen auf Heilung bei Brustkrebs nach einer Operation ohneTherapie, mit Hormontherapie, mit Chemotherapie und mit beidenTherapien zusammen bezogen auf jeweils 100Patientinnen und einen Zeitraum von 10Jahren dargestellt. Aus diesenAngaben war abzulesen, dass ohneTherapie 82Frauen überlebten, mit Hormontherapie 87, mit Chemotherapie 91 und kombiniert 93. Immerhin ein Anfang, aber keine ausreichende Information, beispielsweise fehlten Hinweise bezüglich der herangezogenen Studien und deren Geldgeber. Sie werden in Kapitel »Geld regiert die Welt« noch erfahren, wie wichtig solche Angaben sind.
    Ich finde den Fall bemerkenswert. Einerseits hat die Gynäkologie des betreffenden Krankenhauses die Patientin wirklich ernst genommen und sich um die erbetenen Informationen bemüht. Allerdings scheint es gerade so, als hätte man sich zum ersten Mal mit den Folgen einer der nebenwirkungsreichstenTherapien befasst, und das, obwohl man sie seit Jahren täglich anwendet. Kann man da von verantwortungsvollem medizinischem Handeln sprechen, wenn man unter Umständen gar nicht weiß, was man tatsächlich tut?
    Ein solcher Umgang mit Patienteninformation ist meiner Erfahrung nach nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Deshalb überrascht es nicht, dass der Deutsche Bundestag 2006 eine Petition von Frauen mit Brustkrebs überreicht bekam, in der gefordert wurde, » dass für Patientinnen und Patienten die Aussagen von Behandlungsleitlinien und wissenschaftliche Studien umfassend und in
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