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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition)
Autoren: Sven Stricker
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kolossal auf den Zeiger.
    «Ich geh rein», sagte Kuli.
    «Ich nicht», sagte Paul.
    «Muss man doch mal nachsehen», sagte Kuli.
    «Finde ich nicht», sagte Paul.
    «Ich war doch nicht beim Bund, um jetzt zu kneifen», sagte Kuli.
    «Und wenn wir da drin eine Leiche finden?», fragte Paul. Das war sein letzter Trumpf, den hatte er sich aufgespart.
    Und tatsächlich, Kuli wirkte ernstlich erschrocken.
    «Meinst du?»
    «Na klar!»
    «Ach so.»
    Für einen Moment wirkte es, als hätte Paul gewonnen, als würden sie jetzt gleich die Holzstufen wieder hinuntersteigen und unten, am Fuß der Treppe, die Polizei rufen, dann gemütlich nach Hause gehen, jeder für sich, und Paul würde vielleicht einen Film gucken, aber sicherlich keinen Krimi, irgendwas ohne Mord und Geschrei und Panik, vielleicht was mit Tieren und Zeichentrick von 1955.
    Dann stieß Kuli die Tür vollends auf und betrat Lisa Gerhards Wohnung.
    «Ist ja kein Film hier», sagte er nur und guckte neugierig in die einzelnen Zimmer. Paul blieb gar nichts anderes übrig, als hinterherzutrotten.
    «Mann, das ist ja mal richtig ‹Schöner Wohnen›», sagte Kuli, der gerade einen Blick in das Bad geworfen hatte. Der Raum war komplett verspiegelt, in der Mitte stand eine Badewanne, die eigentlich gar keine Badewanne, sondern ein runder Whirlpool auf gusseisernen Füßen war und bläulich von unten angeleuchtet wurde. Paul zählte drei Waschbecken, eine Dusche und ein Bidet, alles anscheinend individuell angefertigt.
    «Wer braucht denn so was?», fragte Kuli.
    «Das ist nicht die Frage.» Paul zog die Tür wieder zu. «Wen geht das was an, das ist die Frage», führte er aus und schob Kuli weiter durch den Flur. Wie viele Quadratmeter mochte diese Wohnung wohl haben? Zweihundert? Zweihundertfünfzig?
    «Warte mal kurz», sagte Paul plötzlich und fasste Kuli am Arm.
    War da nicht ein Geräusch gewesen? Ein menschlicher Laut?
    «Hast du das gehört?»
    Kuli nickte.
    «Vielleicht ist ja doch jemand da», flüsterte Paul.
    Kuli nickte.
    «Hallo? Frau Gerhard?», rief er.
    Und ganz weit entfernt, sehr leise, offenbar aus der hintersten Ecke im hintersten Zimmer, hörten sie plötzlich jemanden schluchzen. Es war eigentlich eher ein Wimmern als ein Schluchzen, kein lauter, alarmierender, mitteilsamer Ausbruch, eher ein privates, intimes Zwiegespräch mit der eigenen Trauer. Das dachte Paul und wunderte sich über sich selbst.
    Sie schauten sich kurz an, ein weiteres Mal hin- und hergerissen zwischen Weitergehen und Weglaufen, dann beschleunigten sie ihre Schritte und stießen eine Tür auf, die ins Wohnzimmer führte.
    «Oh», stieß Kuli erschrocken aus.
    «Ah», sagte Paul.
    Vor ihnen breitete sich ein Chaos aus, das im krassen Gegensatz zu der sortierten Eleganz der anderen Räume stand. Ein Ledersofa war umgeworfen worden, zwei Bilder lagen zerschlagen auf dem Boden, ein nur noch dreibeiniger Stuhl davor. Überall zerbrochenes Glas, Geschirr, ein gesprungener Spiegel, aufgerissene und zerwühlte Schubladen. DVDs und CDs lagen verstreut, teilweise hüllenlos herum. Kuli sah eine DVD der dritten Staffel von Lost , und für einen winzigen Moment breitete sich ein angenehmes Gefühl in ihm aus. Bis er die Frau wahrnahm. Ganz klein wirkte sie, zerbrechlicher als Glas und Spiegel zusammen. Sie war blond, langhaarig, Strähnen hingen ihr wirr ins Gesicht, sie weinte, sie blutete, sie hockte in der Mitte des Wohnzimmers auf einem ehemals weißen Teppich, der um sie herum rot eingefärbt war. Sie krümmte sich, hielt sich den Arm, von dem ein dicker, zähflüssiger Blutfaden über die Hand auf den Boden tropfte.
    «Hallo», sagte Paul ratlos.
    «Wer seid ihr?», fauchte die Frau mit schmerzverzerrtem Gesicht und blickte sie feindselig an. «Was wollt ihr hier?»
    «Sind Sie … bist du Lisa Gerhard?», fragte Paul.
    «Wer will das wissen?», antwortete sie.
    «Sollen wir die Polizei rufen?», fragte Kuli. «Einen Krankenwagen?»
    «Nein», sagte Lisa Gerhard knapp. «Abhauen.»
    «Wir haben eben schon einmal telefoniert», erläuterte Kuli. «Die Auskunft. Also, das waren wir. ‹Schönen guten Tag, T2-Vermittlung› und so weiter. Da hast du … also wir …»
    «Wie, die Auskunft?» Sie wischte sich etwas Blut vom Ärmel.
    Paul bemerkte, dass sich Kuli verfranst hatte. «Ja, Sie … du bist da auf die Taste gekommen … und dann waren wir da dran … also, die Auskunft … also wir», ergänzte er nicht weniger unstrukturiert. Das war aber auch ein Anblick, das hatte
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