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Schlangenaugen

Schlangenaugen

Titel: Schlangenaugen
Autoren: Carol Grayson
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geschmeidigen, schlauen Wiesel glich, während dieser Joe ein geradliniger, ehrlicher und durchtrainierter Typ war. Vielleicht fühlte André sich gerade deshalb so zu ihm hingezogen? Er konnte dieses seltsame Gefühl in sich nicht einordnen. So etwas hatte er noch niemals zuvor für einen Menschen empfunden. Es dauerte lange, bis er es überhaupt definieren konnte: Begehren.
    Der Kapitän trat jetzt zu der kleinen Gruppe hinzu und ließ sich kurz von seinem ersten Maat in Kenntnis setzen. Dann musterte auch er den Jungen von oben bis unten.
    „Schön, du heißt also Joe und bist ein blinder Passagier. Hör gut zu! Wenn du nicht über Bord springen und ans Ufer schwimmen willst, musst du dir nach den Regeln der Seefahrt die Überfahrt verdienen“, sagte er zu Joe und dann zu Stokes: „Steckt ihn in die Kombüse, er kann Wilkins beim Kartoffelschälen und Servieren helfen. Und gebt ihm was Ordentliches zum Anziehen.“ Joseph war froh, so glimpflich davon gekommen zu sein, was er vor allem seiner hellen Hautfarbe zu verdanken hatte. Einen „Nigger“ hätte man womöglich sofort ertränkt. Für den Kapitän war die Sache damit erledigt. Für André hatte sie gerade erst begonnen. Er musste diesen Jungen wiedersehen.
    Stokes gab dem Matrosen ein Handzeichen und dieser führte den Jungen am Arm mit sich. Joe wandte sich noch einmal kurz zu André um und warf ihm ein angedeutetes Lächeln zu.
    * * *
    Während sich der behäbige Dampfer langsam flussaufwärts schaufelte, galoppierte Stratton ebenfalls nach Norden. Der namenlose alte Bluthund, der ihn begleitete, hielt ihn mehr auf als ihm lieb war. Der Köter hatte in Baton Rouge nichts von dem Entflohenen ausfindig machen können, obwohl der Aufseher ihn an den Handfesseln hatte schnuppern lassen. Aber was soll´s. Alle Sklaven wollten doch nach Norden. Also folgte Stratton dem großen Fluss. Von Zeit zu Zeit begegneten ihm Armeeeinheiten der Südstaaten in ihren grauen Uniformen, die in die gleiche Richtung zogen. Zu gerne hätte er sich ihnen angeschlossen. Aber Tom Stratton hatte erst noch was zu erledigen. Während seines langen Rittes hatte er eine Menge Zeit zum Nachdenken gehabt.
    Die Wut in ihm war mittlerweile so stark, dass er einen perfiden Plan ausgeheckt hatte. Er wollte zwar McMillans Sohn wiederfinden, aber nicht unbedingt zurückbringen! Sollte ja vorkommen, dass im Krieg eine verirrte Kugel auch mal einen Unschuldigen traf. Er grinste bei dem Gedanken, während er den Gaul weiter antrieb. Ja, und er selbst würde auch nicht mehr zurückkehren. Wozu denn auch? Bloß, um sich dem Jähzorn seines Masters auszusetzen? Sollte sich Sheriff Jenkins doch mit dem Kerl herumärgern.
    Nichts da, irgendwo würde man einen alten Haudegen wie ihn schon noch brauchen können. Die Cloudy Moon gehörte für ihn von nun an der Vergangenheit an. Der Krieg würde sowieso alles ändern in diesem Land. Jetzt ging es nur noch um seine persönliche Rache. Tom Stratton war noch kein Sklave entflohen. Und das würde auch so bleiben. Selbst wenn es sich um eine Missgeburt wie diesen Joseph handelte. Dem würde er auch noch Zucht und Ordnung beibringen!  
    Am selben Abend fand sich André LeClerq im Speisesaal ein. Er konnte sich keine üppige Mahlzeit leisten und entschied sich für das einfachste Gericht, einen Linseneintopf. Aber nicht unbedingt Hunger hatte ihn hierher geführt, sondern Hoffnung, und die erfüllte sich sogar. Joe war dabei, gemeinsam mit zwei anderen farbigen Bediensteten die Passagiere mit dem gewünschten Essen zu versorgen. Er trug nun saubere Kleidung und eine Art Uniformjacke, das Zeichen für einen Steward. Andrés Teller stellte er mit den Worten: „Bitte sehr, Sir!“ vor diesen hin. André schaute ihn direkt an, doch Joe hielt die großen, tiefbraunen Augen gesenkt. „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben“, meinte der Spieler leise. „Ich bin genau so ein Ausgestoßener wie du.“
    „Ich habe keine Angst“, mit diesen Worten hob Joe den Blick. Seine Augen blickten prüfend auf den schlanken Fremden am Tisch. Wieder erwachte diese unbestimmte Sehnsucht in André. Wenn ihn eine Frau so angesehen hatte, verspürte er niemals dieses verzehrende Gefühl. Was, zum Teufel, war bloß los mit ihm? Mit zwei Fingern lockerte er leicht seinen Hemdkragen. Sein Mund war trocken, als er antwortete: „Ich meine ja nur…falls du mal einen Freund brauchst. Ich heiße übrigens André LeClerq, aber du kannst mich ruhig Andy nennen.“
    Joe nickte kaum
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