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Schlamm, Schweiß und Tränen

Schlamm, Schweiß und Tränen

Titel: Schlamm, Schweiß und Tränen
Autoren: Bear Grylls
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erfinderisch: Ich hatte
recht schnell den Bogen raus, wie ich mit einem entsprechend zurechtgebogenen Kleiderbügel durch die Luftlöcher hindurch den
Riegel öffnen und mich aus dem Staub machen konnte. Das waren
meine ersten Ausflüge in die Welt des Tüftelns und Improvisierens,
und diese Fähigkeiten haben mir über all die Jahre hinweg sehr gute
Dienste geleistet.
    Gleichzeitig habe ich aber auch eine Leidenschaft für körperliche
Betätigung entwickelt. Meine Mutter hat mich jede Woche in einer kleinen Sporthalle abgeliefert, wo der unvergessliche Mr. Sturgess
Turnkurse für Kinder abhielt.

    Diese Kurse fanden in einer alten, staubigen Doppelgarage statt,
die sich auf der Rückseite eines Wohnblocks im Stadtteil Westminster
befand.
    Mr. Sturgess leitete den Unterricht mit der eisernen Disziplin eines
ehemaligen Militärangehörigen. Jeder von uns hatte seine klar markierte „Stelle" auf dem Boden, wo wir regungslos strammstehen und
auf unsere nächste Turnübung warten mussten. Und er hat uns hart
rangenommen. Man konnte den Eindruck gewinnen, Mr. Sturgess
hätte vergessen, dass wir erst sechs Jahre alt waren - doch wir Kinder
liebten das.
    Durch das Training fühlten wir uns als etwas Besonderes.
    Unter einer Metallstange, die gut und gerne zwei Meter hoch war,
haben wir uns immer nebeneinander in einer Reihe aufgestellt und
dann hat jeder gesagt: „Bitte hochheben, Mr. Sturgess." Daraufhin
hat er einen nach dem anderen von uns hochgehoben und hängen
lassen, bis er am Ende der Reihe angekommen war.
    Die Regeln waren ganz einfach: Solange nicht die gesamte Reihe
an der Stange baumelte wie ein toter Fasan am Haken in der Kühlkammer beim Metzger, durfte man nicht um Erlaubnis bitten, loszulassen. Und selbst dann musste man darum bitten: „Bitte runterlassen, Mr. Sturgess." Wenn man sich nicht mehr halten konnte und
vorzeitig den Abgang machte, wurde man zu seinem Platz zurückgeschickt und musste sich schämen.
    Wie sich herausstellte, genoss ich diese Trainingsstunden sehr,
denn ich legte großen Wert darauf, immer der Letzte zu sein, der noch
an der Stange baumelte. Meine Mutter sagte immer, dass sie diesen
Anblick nicht ertragen konnte, wie mein kleiner, hagerer Körper dort
oben hing und mein schmerzverzerrtes Gesicht in wilder Entschlossenheit, bis zum bitteren Ende durchzuhalten, purpurrot anlief.
    Die übrigen Jungs ließen sich - einer nach dem anderen - von der
Stange holen, während ich noch immer da oben hing und verbissen
darum kämpfte, unbedingt so lange auszuharren, bis sogar Mr. Sturgess zu dem Schluss käme, dass jetzt endlich genug wäre.

    Danach bin ich immer zu meinem Platz zurückgeflitzt, mit einem
breiten Grinsen von einem Ohr zu anderen.
    Der Satz „Bitte runterlassen, Mr. Sturgess", wurde in unserer Familie zum geflügelten Wort, denn er verkörperte für uns den Inbegriff
von harter körperlicher Anstrengung, strenger Disziplin und tollkühner Entschlossenheit. Eigenschaften, die mir während meiner späteren Militärlaufbahn gute Dienste geleistet haben.
    Meine sportlichen Trainingseinheiten waren also ziemlich ausgewogen: Klettern, Hängen und Ausbüxen.
    Ich liebte jede einzelne.
    Noch heute sagt meine Mutter über mich, dass es ihr immer so
vorkam, als wäre ich als Heranwachsender fest entschlossen gewesen,
eine Mischung aus Robin Hood, Harry Houdini, Johannes dem Täufer und einem Attentäter zu werden.
    Ich habe diese Äußerung als großes Kompliment betrachtet.

     

Wenn ich an meine ersten Schuljahre zurückdenke, dann
habe ich mich immer ganz besonders auf die Dienstagnachmittage
gefreut, denn sobald die Schule aus war, bin ich zu Oma Patsies
Apartment gegangen - wir haben dann gemeinsam zu Abend gegessen und ich durfte bei ihr schlafen.
    Ich kann mich noch gut an den typischen Geruch in Omas Wohnung erinnern - es war eine Mischung aus Zigarettenrauch der Marke Silk Cut und gebackenen Bohnen mit Fischstäbchen, die sie mir
extra zum Abendessen gemacht hatte. Aber ich mochte das. Denn nur
bei ihr hatte ich nie Heimweh, wenn ich von zu Hause weg war.
    Wenn meine Eltern nicht da waren, wurde ich oft über Nacht zu
einer älteren Dame gebracht, die ich nicht kannte und die - wie es
den Anschein hatte - mich genauso wenig kannte. (Ich vermute, dass
es eine freundliche Nachbarin oder Bekannte meiner Eltern war, zumindest jedoch hoffe ich das.)
    Ich hasste es.
    Ich kann mich noch heute an den Geruch des alten Leder-Bilderrahmens
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