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Schlaflos

Schlaflos

Titel: Schlaflos
Autoren: Monika Bender
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zu erfahren hoffe, ist länger her.«
    Er beugte sich über sie und stützte die Hände auf die
Sofalehne hinter ihr. Seine Blicke bohrten sich in ihre Augen. So weit wie
möglich wich sie in die Polster zurück. Sein Atem strich kühl über ihre Wange
und ihr Herz flatterte wie ein ängstlicher Vogel.
    »Ich will, dass du dich an die Nacht erinnerst, als du zum
letzten Mal geschlafen hast!«
    Er zog sich ein Stück zurück und Madeleine bekam wieder Luft
in ihre Lungen. Natürlich verstand sie was er meinte. In der Nacht, als Bastien
sie wandelte, hatte sie zum letzten Mal geschlafen. Aber was Armand von ihr
verlangte, war unmöglich. Und eine Zumutung, die sie genug in Rage versetzte,
um die Bedrohung, die von ihm ausging, zu ignorieren.
    »Du weißt auch nicht besonders viel über die Gepflogenheiten
der Schlaflosen, was? Ich habe praktisch keine Erinnerung mehr an diese Nacht.
Keiner von uns kann sich an seine Wandlung erinnern. Und nur noch sehr
verschwommen an das Leben, das wir vorher geführt haben. Hat sich das noch
nicht herumgesprochen«, sie fuchtelte mit der Hand in der Luft herum, Richtung
Decke, »in den himmlischen Gefilden?«
     

02
    Der erste Schlaflose, so sagt man, war ein Engel, der auf die
Erde verbannt wurde. Dort nannte er sich Drago.
    Normalerweise verblassen die Kräfte der Engel unter irdischen
Bedingungen rasch. Doch Drago war es gelungen, ein Artefakt mit zur Erde zu
bringen, einen Gegenstand, der seine Macht einfing und konservierte. So gelang
es ihm, seine Kräfte zu erhalten.
    Er hatte die Absicht, sich zu einem Fürsten der Hölle
aufzuschwingen. Aber er fand gefallen an einer menschlichen Frau. Deshalb
beschloss er, in der Sphäre der Menschen zu bleiben.
    Um seine Macht und seine Unsterblichkeit an seine Frau und
seine Gefolgsleute weitergeben zu können, schloss er einen Pakt mit den
Höllenfürsten. Er ließ das Licht endgültig hinter sich, wurde zu einem Geschöpf
der Dunkelheit und verzichtete auf die Erholung des Schlafes.
    Als ein neues Zeitalter heranbrach, kam es zu einer
Revolution im Himmel. Einem der zahlreichen Götter gelang es, die alleinige
Macht an sich zu reißen. Jehova verfügte, dass die himmlischen Heerscharen nur
noch ihm zu dienen hatten und die Menschen nur noch ihn anbeten sollten. Er
kündigte das Gleichgewicht der Kräfte auf, das die Mächte der Finsternis und
des Lichtes seit Jahrtausenden sorgfältig bewahrten, und bekämpfte die
Dunkelheit mit nie da gewesener Brutalität.
    Einer der Schlaflosen, der einen Groll gegen seinen Meister
hegte, machte gemeinsame Sache mit Jehova und tötete Drago und seine Gefährtin.
Aber es gelang dem Verräter nicht, den Gegenstand der Macht an sich zu
bringen.
    Dragos Gefolgsleute, die ihm treu ergeben waren, begruben das
Artefakt zusammen mit seinem Leichnam an einem geheimen Ort. Seither haben
viele Schlaflose versucht, den Gegenstand der Macht zu finden. Wer immer ihn besitzt,
wird von denen, die des Nachts nicht schlafen, als König anerkannt werden und
sogar die Macht besitzen, es mit den Fürsten der Hölle aufzunehmen.
     

03
    Nie zuvor hatte Madeleine jemanden dieses alte Märchen mit
mehr Pathos vortragen hören. Sie kämpfte darum, nicht zu lachen. Und darum, den
Mund zu halten.
    »De Villefort glaubt daran«, versicherte der gefallene Engel.
    »Was?«
    »Er ist seit Jahrhunderten auf der Suche nach Dragos Grab.
Das ist der Grund, weshalb deine Familie sterben musste.«
    Sie zuckte zusammen, wie unter einem Schlag, kämpfte um
Fassung. Wie lange hatte sie nicht mehr an das Drama gedacht, das ihrer
Wandlung vorausging? Das einzige Ereignis ihres sterblichen Lebens, das sich
weigerte, vollständig im Vergessen zu versinken. Armand hatte kein Recht, diese
Erinnerungen ans Licht zu zerren. Selbst Bastien hatte verstanden, dass sie
sich nicht erinnern wollte!
    »Bastien ist ein gewissenloser Tyrann. Mir ist klar, dass er
vor Mord nicht zurückschreckt. Aber mein Leben hat er gerettet! Ich wäre
verblutet.«
    »Dein Vater hat für ihn gearbeitet.«
    Madeleine nickte. Marcel Dupret hatte nicht gewusst, wer der
Mann war, in dessen Diensten er stand. Er war ahnungslos gestorben, als eine
bewaffnete Horde sein Haus stürmte und ihn und seine Familie niedermetzelte.
Nur Madeleine überlebte lange genug, um von Bastien gerettet zu werden.
    »Ja, das hat er.« Verschwommene Bilder regten sich in ihrem
Gedächtnis, voller Blut und Tod.
    »Weißt du, was dein Vater für ihn getan hat?«
    »Er hat nie über seine Arbeit
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