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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia
Autoren: Stephen King
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aber mit der Zeit war sie von selbst verschwunden, wie das bei solchen Dingen eben manchmal geht. Dennoch schien ihm, dass sich etwas
    ([hallo Frau, hallo Mann, wir haben auf euch gewartet])
    mehr als Außergewöhnliches in diesem Zimmer zugetragen hatte, und als er Fayes trockene, kraftlose Hand nahm und in Fayes ängstliche, verwirrte Augen lächelte, kam ihm ein seltsamer Gedanke: Sie stehen genau da drüben in der Ecke und beobachten uns.

    Er sah hinüber. Selbstverständlich stand niemand in der Ecke, aber einen Augenblick … nur einen Augenblick …

7
    Das Leben in den Jahren von 1993 bis 1998 ging seinen Gang, wie es in Städten wie Derry immer der Fall ist: Aus den Knospen des April wurden die trockenen, fallenden Blätter des Oktober; Mitte Dezember wurden Weihnachtsbäume in die Häuser getragen und in der ersten Januarwoche mit Resten von Lametta, die noch traurig an den Zweigen hingen, wieder mit den Müllwagen abtransportiert; Babys kamen zum Eingang herein, und alte Leute gingen durch den Ausgang hinaus. Manchmal gingen auch Menschen im besten Alter durch den Ausgang hinaus.
    In Derry waren es fünf Jahre der Haarschnitte und Dauerwellen, der Stürme und Schulabschlussfeiern, des Kaffees und der Zigaretten, der Steakessen in Parker’s Cove und der Hotdogs auf dem Spielfeld der Jugendliga. Mädchen und Jungen verliebten sich, Betrunkene fielen aus ihren Autos, kurze Röcke fielen in Ungnade. Die Leute deckten ihre Dächer neu und besserten die Einfahrten aus. Alte Flaschen wurden aus ihren Ämtern abgewählt und neue Flaschen hineingewählt. Es war das Leben, häufig unbefriedigend, oft grausam, normalerweise langweilig, manchmal wunderschön, ab und zu berauschend. Die grundsätzlichen Dinge blieben erhalten, während die Zeit verging.
    Im Frühherbst des Jahres 1996 kam Ralph zu der Überzeugung, dass er Darmkrebs hätte. Er sah mehr als nur
Spuren von Blut im Stuhl, und als er schließlich zu Dr. Pickard ging (Dr. Litchfields fröhlichem, schnodderigem Nachfolger), hatte er Visionen von Krankenhausbetten und Chemotherapie und IV-Tropfs, die trostlos in seinem Kopf tanzten. Aber statt um Darmkrebs handelte es sich um eine Hämorrhoide, die, mit Dr. Pickards denkwürdigem Ausdruck, »den Korken rausgedrückt« hatte. Er schrieb Ralph ein Rezept für Zäpfchen, mit dem Ralph zu Rite Aid ging. Joe Wyzer las es und grinste Ralph feixend an. »Beschissen«, sagte er, »aber auf jeden Fall um Klassen besser als Darmkrebs, oder nicht?«
    »Der Gedanke an Darmkrebs ist mir nie in den Sinn gekommen«, antwortete Ralph steif.
    Eines Tages im Winter 1997 setzte Lois es sich in den Kopf, mit Nats Plastikschlitten, der wie eine fliegende Untertasse aussah, ihren Lieblingshügel im Strawford-Park hinunterzufahren. Sie fuhr »schneller als ein Schwein auf einer eingeschmierten Rutsche« (das war der Ausdruck von Don Veazie, der an dem Tag zufällig vorbeikam und alles mit ansah) und knallte gegen das Portosan mit der Aufschrift FRAUEN. Sie stieß sich das Knie an und verrenkte sich den Rücken, und obwohl Ralph wusste, dass er es nicht tun sollte - es war zumindest äußerst herzlos -, lachte er fast den ganzen Weg zur Notaufnahme ausgelassen. Die Tatsache, dass Lois trotz ihrer Schmerzen ebenfalls vor Lachen brüllte, trug auch nicht gerade dazu bei, dass Ralph sich wieder unter Kontrolle bekam. Er lachte, bis ihm Tränen aus den Augen quollen, und er fürchtete, er könnte einen Schlaganfall erleiden. Sie hatte einfach so gottverdammt wie unsere Lois ausgesehen, als sie auf diesem Ding den Hügel hinuntergerast war, immer im Kreis
herum, die Beine über Kreuz wie ein Yogi aus dem geheimnisvollen Osten verschränkt, und sie hätte das Portosan beim Aufprall fast umgestoßen. Bis der Frühling kam, hatte sie sich wieder völlig erholt, obwohl ihr das Knie an regnerischen Tagen immer zu schaffen machte und sie es gründlich satt bekam, dass Don Veazie sich jedes Mal, wenn er sie sah, danach erkundigte, ob sie in letzter Zeit mal wieder mit einem Scheißhaus zusammengestoßen wäre.

8
    Das Leben nahm seinen Lauf wie üblich - was bedeutet, weitgehend zwischen den Zeilen und außerhalb der Ränder. Dem einen oder anderen Weisen zufolge geschieht das, wenn wir andere Pläne schmieden, und wenn das Leben in jenen Jahren besonders gut zu Ralph Roberts war, dann vielleicht deshalb, weil er keine anderen Pläne hatte. Er blieb mit Joe Wyzer und John Leydecker befreundet, aber sein bester Freund in all den Jahren war
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