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Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Stefan Holtkötter
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Fernsehteam eintreffen. Ein Kostümchen von Chanel, Perlenkette und Goldschmuck, und wie immer ihre perfekte Krystle-Carrington-Frisur, bei der jedes einzelne Haar an der richtigen Stelle lag.
    »Sanna, da bist du ja. Wir haben schon auf dich gewartet. Dann kann es ja jetzt losgehen.«
    Sie drehte sich um und schwebte ins Haus. Sanna schlurfte widerwillig hinterher.
    »Bin ich etwa zu spät?«
    »Nein, nein. Vincent ist auch schon da, er unterhält sich im Wintergarten mit Georg.«
    Georg war der Mann ihrer Schwester, ein mittelhohes Tier bei der Commerzbank, der mit fünfunddreißig schon aussah, als wäre er mindestens fünfzig. Aber irgendwie passte er ganz gut zu Ines mit ihrer strengen Kurzhaarfrisur, den Spitzenkrägelchen und ihren asexuellen Wollpullovern, die sie ständig trug. Sanna hatte keine Ahnung, wie die beiden es zustande gebracht hatten, zwei Kinder zu zeugen.
    »Bist du so nett und sagst deinem Vater Guten Abend?«, sagte ihre Mutter. »Ich rufe die anderen, und dann können wir essen.«
    Sanna trat ins Esszimmer, wo ihr Vater am Tisch saß und in einem seiner medizinischen Fachblätter las. Wie immer trug er ein Poloshirt und weiße Golfhosen, ein Aufzug, den Jannis die Chefarzt-Freizeituniform genannt hatte. Als ihr Vater sie eintreten sah, legte er die Zeitschrift beiseite, stand auf und reichte ihr lächelnd die Hand. Es war der Gesichtsausdruck, mit dem er Patienten begrüßte.
    »Sanna, schön, dich zu sehen. Auch wenn der Anlass nicht so besonders schön ist.«
    »Wir wollen Sanna doch erst einmal ankommen lassen«, ging ihre Mutter dazwischen, die den Rest der Familie ins Esszimmer führte. Vincent unterbrach das Gespräch, das er mit Georg führte, und begrüßte sie mit einem Kuss. Auf Sanna wirkte es plötzlich, als wäre er hier aufgewachsen und sie nur zu Besuch. Alle liebten ihn abgöttisch, diesen freundlichen und charmanten jungen Mann, selbst die Kinder ihrer Schwester. Manchmal fragte sie sich, ob ihre Familie ihn nicht am liebsten für sie eintauschen würde.
    Das Essen verlief ruhig, es wurde kaum gesprochen. Erst als ihre Mutter den Nachtisch servierte, ergriff ihr Vater das Wort.
    »Du machst also Ernst, Sanna? Du willst hier alles hinwerfen?«
    »Papa, bitte. Das Thema hatten wir doch zur Genüge.«
    Wochenlang hatte er mit aller Macht versucht, ihr den Umzug auszureden. Als wäre es eine persönliche Niederlage für ihn, wenn Sanna nach Marienbüren ging. Dabei war er selbst dort aufgewachsen. Es war ihre alte Heimat. Erst in den 90ern, nach der Wende, war er nach Berlin gegangen, um hier seine Praxis zu eröffnen.
    »Ich verstehe nur nicht, was dich so sehr daran reizt«, sagte er. »Deine … Kurse kannst du doch auch in Berlin geben.« Die Herablassung in seiner Stimme war deutlich zu hören.
    »Ich werde in einem Rehazentrum arbeiten. Das ist nicht zu vergleichen mit meiner Arbeit hier.«
    »Du redest, als wäre das eine Karriere.«
    »Klaus, bitte«, ermahnte ihn ihre Mutter.
    Doch er war nicht zu bremsen. »Was ist mit deiner Ausbildung? Du warst doch so engagiert. Und so begeistert. Was soll das mit diesen albernen Sportkursen? Es ist immer dasselbe. Du machst einfach nichts aus deinem Talent.«
    Sanna blieb stumm. Sie starrte auf die Tischdecke. Schweigen legte sich über den Esstisch. Ihre Mutter warf ihrem Vater böse Blicke zu.
    »Du möchtest also Sportkurse geben«, stellte er kühl fest. »Meinetwegen. Aber so etwas gibt es doch auch in Berlin. So eine Rehageschichte. Was ist so großartig an Marienbüren? Warum lässt du hier alles sausen?«
    »Was denn zum Beispiel? Meinen tollen Job im Fitnessstudio?«
    Sanna biss sich auf die Lippen. Doch es war zu spät, es ungesagt zu machen. Natürlich meinte er die Familie, und Sanna wusste das genau.
    »Ich möchte mal etwas anderes sehen als Berlin«, sagte sie. »Mich ausprobieren. Gucken, wie es sich auf dem Land lebt. Neue Erfahrungen sammeln. Noch bin ich jung. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?«
    »Was ausprobieren also. Und da muss es ausgerechnet Marienbüren sein? Denkst du, du bist bei deiner Tante richtig? Sie ist kein guter Umgang, gerade jetzt, labil wie du bist.«
    Ihre Mutter beendete das Gespräch mit einer Kopfbewegung. Sie war der einzige Mensch, den Sanna kannte, der die Aufmerksamkeit aller im Raum allein durch ein leichtes Kopfnicken auf sich ziehen konnte. Es funktionierte immer, auch jetzt. Alle blickten sie an, sie lächelte in die Runde, legte ihre Serviette geziert beiseite und sagte:
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