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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Autoren: Leif Randt
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dass ich demonstratives Verhalten ablehne. Sie sagt: »Ja, ich verliere sie mit Absicht.« Wir lassen die Teigstücke im Flur liegen und kehren mit der Kuchenbox in das Schlafzimmer zurück. Carla hat einige Filme ausgesucht. Die weiteren Stunden des Nachmittags verbringen wir schweigend.
    Die meisten Klienten besuchen uns gerne in der Agentur. Wahrscheinlich wegen des Kaffees und des Ausblicks. Wir empfangen sie nachmittags, sie essen etwas, sie trinken etwas, sie unterzeichnen Verträge. Ich würde nicht sagen, dass ich mit meinen Klienten befreundet bin, aber ich würde sagen, dass ich viel Verständnis für sie habe, auch für ihre Selbstzweifel. In der internationalen Presse kursiert seit Jahren die Ansicht, dass die Texte aus CobyCounty stilistisch zwar perfekt seien, dass ihnen jedoch der Bezug zu existenzieller Not fehle. Diese Haltung wird in Onlinemagazinen und Kommentarforen nachgeahmt. Und wenn Autoren noch sehr jung sind, dann lesen sie tendenziell viel in solchen Magazinen und Foren und laufen Gefahr, sich von diesen jederzeit abrufbaren Meinungstexten langsam zermürben zu lassen. Eine meiner wichtigsten Aufgaben sehe ich darin, die jungen Autoren auf die Lügen in den Digital- und Printmedien hinzuweisen: Zum Beispiel wurde auf der Webseite von Le Monde zuletzt behauptet, der Markt vertrage keine aufwendig gestalteten Bücher über Strandpartys mehr. In Wahrheit wollen die Menschen aber noch viel mehr über gute Zeiten in CobyCounty erfahren, das zeigen nicht nur die Verkaufszahlen, das erklärt sich von ganz allein: Wer nicht hier lebt, will sich ein Leben hier vorstellen, und alle anderen wollen ihre eigenen CobyCounty-Erfahrungen mit den Erfahrungen in den Texten abgleichen.
    Ein guter Agenturtag beginnt mit Kaffee und zwei Shortstorys. Nach der Mittagspause, die ich oft in einem Bistro für üppige Gemüsesuppen verbringe, schreibe ich E-Mails und führe Telefonate. Heute spreche ich mit Mattis Klark, der mein allererster Klient war. Er möchte nach seinem Debütroman nun einen Band mit kürzeren Texten veröffentlichen. Das Projekt ist einfach zu betreuen, es sind schlichte, leicht anrührende Geschichten über einen manisch-depressiven Highschoollehrer. Ich finde fast keine Fehler und kann Mattis am Telefon für seine äußerst solide Orthografie loben. Er ist ein dankbarer, sonorer Typ, er zieht seinen Sohn alleine auf. Ich kündige ihm an, dass ich ihn auf eine Tasse schwarzen Tee besuche, sobald er mir auch die letzten beiden Erzählungen geschickt hat.
    Am achtzehnten Februar, genau drei Wochen vor Carlas fünfundzwanzigstem Geburtstag und gerade einmal zwei Wochen vor Frühlingsbeginn, möchte mich Wesley am Springbrunnen der Colemen&Aura-Einkaufspassage treffen. Er hat am Telefon ungewohnt sachlich geklungen. Ich habe die Passage seit gut vier Jahren nicht betreten. Als Kind bin ich oft mit meiner Mutter hierhergegangen, wenn sie in den edlen Damenschuhgeschäften einkaufen wollte. In der Passage ist es angenehm hell. Das Dach besteht aus vielen quadratischen Milchglasfenstern, die Sonne wird gleichmäßig verteilt, es blendet niemals. Wenn es in den Wintermonaten vor Ladenschluss dunkel wird, schalten sich überall Streulichtlampen ein, die alles so ausleuchten, dass man sein Gesicht in den verspiegelten Ladenscheiben als noch ebenmäßiger wahrnimmt. Meine Mutter hat mich bereits als kleinen Jungen nach meiner Meinung zu ihren Schuhen gefragt. Ich sagte gut begründete Sachen, ich sagte: »Kauf die schwarzen. Die sind eleganter.« Scheinbar war meine Mutter, die mich an ihren Reflexionen teilhaben ließ, von keinem Schuhmodell jemals überwältigt, sondern dachte vor jedem Kauf intensiv über Beschaffenheit, Preis und Kombinierbarkeit nach. Wenn sie sich dann für ein Paar Schuhe entschieden hatte, durfte ich mir noch ein Fischsandwich an einer der Imbisstheken aussuchen. Bis heute bevorzuge ich die harten, mit mehligen Fischbouletten belegten Brötchen. Carla macht sich manchmal darüber lustig, dass ich ein ›Passagenkind‹ gewesen sei. Ich kontere dann, dass ich es immer gerne war. Manchmal übertreibe ich auch und behaupte, dass ich sogar gerne in der Passage arbeiten würde, »mal nicht das Meer sehen« , habe ich einmal argumentiert, und Carla hat gefragt: »Was hast du denn plötzlich gegen das Meer?« Ich zuckte mit den Schultern: »Gar nichts. Ich liebe das Meer.« Und dann haben wir geschwiegen und irgendwann angefangen, relativ ehrlich zu grinsen.
    Über dem Springbrunnen
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