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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Autoren: Leif Randt
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dann stehe ich für Augenblicke reglos da, drei Etagen über dieser neuen Lücke im Straßenbild. Ich umgreife das Balkongeländer und schlussfolgere, dass die Skulptur von den uniformierten Frauen und Männern frühmorgens planmäßig abmontiert wurde und dass sie vermutlich noch heute eine neue Werbeinstallation aufbauen werden. Gleichzeitig muss ich mir eingestehen, dass mich der Blick auf die nun unbespielte Verkehrsinsel deprimiert und dass ich vielleicht noch immer nichts dazugelernt habe. Wenn ich als Kind im Auto meiner Eltern auf der Rückbank saß, machte es mich traurig, wenn im Stadtbild neue Plakate auftauchten und dafür alte verschwunden waren. Meine Eltern behaupteten, das sei ein typisch kindlicher Reflex, ein Blick auf die Umwelt, der sich nach klaren Strukturen sehne. Heute fürchte ich, dass ich als Kind bereits Melancholiker war. An den wechselnden Werbeplakaten war für mich abzulesen, dass die Zeit verstreicht, dass Tage gehen und nicht wiederkommen. Es war eine schlichte Melancholie, in der ich mich auf dem Autorücksitz einlullen und wohlfühlen konnte, eine Stimmung, die keinerlei Konsequenz von mir verlangte, die wahrscheinlich harmlos, aber auch unproduktiv und lähmend war. Und jetzt entsteht gerade so ein Moment, da blitzt diese Stimmung wieder auf. Eine der uniformierten Arbeiterinnen von der Straße schaut nach oben, kurz halten wir Blickkontakt, dann winke ich und verschwinde ins Wohnzimmer. Mein Handy leuchtet. Carla behauptet via SMS, dass sie nicht mehr verschnupft sei. Sie fragt, ob ich ›unseren Sturm‹ gut überstanden hätte, und lädt mich für den frühen Nachmittag zu sich ein.

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    Carlas Wohnung ist über die letzten beiden Jahre ein wenig zu meiner komfortableren Zweitwohnung geworden. Bei Carla gibt es ein breiteres Bett und einen Fernseher, dessen Bildschirm man vom Bett aus gut sehen kann. Als wir uns noch nicht so genau kannten, haben wir abgeglichen, was wir uns von einer gut organisierten Liebe erwarten. Uns fielen zuerst die europäischen Vorabendserien ein, die wir als Kinder am Esstisch mit unseren Eltern angesehen haben. Wir erinnerten uns daran, wie unsere Eltern versuchten, sich über das TV-Programm lustig zu machen, es aber immer wieder einschalteten. Carla und ich glauben bis heute, dass auf diese Weise einige unserer biedersten Eigenschaften herausgebildet wurden. Und um uns von der Softness der Vorabendserien zu emanzipieren, haben wir uns am Anfang unserer Beziehung für ruppigen Sex entschieden. Weil wir aber bald anfingen, uns währenddessen albern vorzukommen, lieben wir uns heute vermehrt so, wie sich die Charaktere im europäischen Fernsehen mutmaßlich auch geliebt hätten. Man könnte in diesem Zusammenhang vielleicht sagen, dass wir uns in bestehende Muster eingefügt, dass wir aufgegeben haben. Vielleicht haben wir uns aber auch nur zu zwei sehr viel relaxteren späten Jugendlichen weiterentwickelt.
    Als Carla mir die Tür öffnet, trägt sie eine kurze Hose und ein weit ausgeschnittenes Hemd mit schmaler Knopfzeile. Ich kann viel mehr als nur ihren Hals sehen. Mir ist damals zuallererst Carlas perfekte, wie glattes Nylon glänzende Haut aufgefallen. Carla küsst mich sofort mit offenem Mund und legt dabei ihre Hände auf meinen Rücken. Mir kommt diese Geste auch nach zwei Jahren noch nicht abgenutzt vor. Sie fragt: »Was ist los?« , denn ich küsse nicht zurück. Ich sage: »Entschuldige, ich war kurz in Gedanken.« Carla zieht mich auf direktem Weg über den breiten Flur, an ihrem Piano vorbei, bis in ihr Schlafzimmer. Wir tapsen gemeinsam auf das zentral im Raum stehende Bett zu, ihre Füße auf meinen. Durch ein breites Fenster kann man das Meer sehen. Über dem Meer hängen Wolken, und Vögel ziehen vorbei, beschleunigt, wie von einem neuen Sturm getragen. Während Carla küsst, liegt ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Das lässt auch mich lächeln, und dadurch geben wir uns beide das Gefühl, dass wir uns sehr darüber freuen, dass wir wahrscheinlich gleich miteinander schlafen. Wir ziehen uns relativ normal aus: Ich zerre mir mein unbedrucktes Sweatshirt über den Kopf, meine Haare laden sich elektrisch, und Carla knöpft ihr Hemd schnell bis ganz unten auf. Bald liegen wir am helllichten Tag übereinander. Carla gibt vor, es sehr zu genießen: Sie überstreckt ihren Hals nach hinten und umgreift mit ihren Händen meinen Po. Ich weiß, dass sich mein Po solide trainiert anfühlt, und zweifle in keinem Moment daran, dass wir uns auf
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