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Schiffstagebuch

Schiffstagebuch

Titel: Schiffstagebuch
Autoren: Cees Nooteboom
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daneben derjenige, der wirklich das Sagen hatte, der niederländische Resident, fast immer etwas zu groß und etwas zu schwer, das Körpergewicht proportional zum Machtgewicht . Die Niederlande hatten den Adel seiner Macht beraubt und regierten trotzdem mit Hilfe dieser zuweilen uralten Geschlechter, die sich nach wie vor auf die Loyalität und den Gehorsam des Volkes stützen konnten.
    Vorbei das alles, und so schlurfe ich mühsam in meinem etwas zu fröhlichen Sarong durch diese heilige Stätte an der Meerenge zwischen der Insel und dem Festland.
    Wann ist ein Ort heilig?
    Heidegger, einst ertappt in einer Abteikirche, als er sich mit Weihwasser bekreuzigte, antwortete auf die Frage, warum er das tue, da er doch nicht mehr glaube: »Wo so viel gebetet worden ist, waltet das Göttliche.« Hier trifft es zu, man kann sich dem nicht entziehen, die Stille will es, die Abwesenheit von Menschen, der Wind in den Waringinbäumen, das Alter, die riffelige Struktur aus Korallengestein der massiven prasada , einer gen Himmel strebenden Konstruktion aus verschiedenen Etagen, über die ich meine Hand wandern lasse, Fleisch über Stein. Meine papiernen Führer streiten sich. »Gegründet vom Reformer und Priester Dang Hyang Niratha im sechzehnten Jahrhundert«, sagt der eine, nein, entgegnet der andere, »gegründet im elften Jahrhundert vom javanischen buddhistischen Priester Mpu Kuturan«.
    Pura Sakènan auf der Insel Serangan, candi bentar , das gespaltene Tor
    Tausend Jahre alt, fünfhundert Jahre alt, spielt das eine Rolle? Derselbe Boden, derselbe Blick aufs Wasser, dieselbe fossile Koralle, die im
     Morgenlicht so tut, als lebe sie noch, eine versteinerte polynesische Erinnerung an große Völkerwanderungen über das Wasser, Urzeitreisen, die ihr Logbuch in Stein hinterlassen haben.
    Pura Sakènan
    Ein Tempel ist nicht nur ein Gebäude, es sind Tempelgründe, Land zwischen hohen Bäumen, auf der einen Seite ein kleiner Flußlauf mit schwarzem Wasser und Mangroven,auf der anderen das weiträumigere Braungrün des Meeres, auf dem Fischer in Auslegerbooten vorbeifahren. Diese Prauen tragen ein weitgespanntes doppeltes Joch, das auf beiden Seiten in Schwimmkörpern endet, die im rechten Winkel zu den Enden der beiden zierlich gebogenen Bambusflügel angebracht sind. Vor dem Hintergrund der hohen Bäume steht das gemeißelte gespaltene Tor, das candi bentar , das man überall auf der Insel sieht, als sei eine geometrische göttliche Gestalt kerzengerade durch den weißen Stein geschritten und habe das geschlossene Tor magisch und mit mathematischer Präzision auseinandergedrückt.
    Ein riesengroßes Ungeheuer blickt mich an. Wildschweinartige Hauer, hervorquellende Augen, dieser kala ist durch und durch abschreckende Drohung, sollte ich noch nicht wissen, daß ich mich in der Nähe des Göttlichen befinde, dann wird er mir das schon klarmachen. Ich versuche mir vorzustellen, welches Geräusch er dabei von sich geben würde, falls er könnte, die gesamte Insel würde erzittern. Leere Stellen zwischen den verwitterten Monumenten, zu anderen Zeitpunkten gehen hier Menschen umher, die die Ornamente und Symbole deuten können, die für sie zur täglichen Wirklichkeit gehören, Throne oder Sessel, die sie bei einem odalan , einem Tempelfest, ihren Göttern anbieten, damit diese darauf Platz nehmen können, aber auch, um an die Verstorbenen zu erinnern, die von allem befreit sind, was zur Erde gehört. Dann wimmelt es an einem jetzt so stillen Ort wie diesem ein paar Tage lang nur so von Menschen, die hierherkommen, um den Gott ihres Tempels zu ehren, ihm Opfer darzubringen, ihn zu feiern. Die Monstergestalten, die den Tempel immer bewachen, werden mit bunten Tüchern und Blumengeschmückt, als müsse ihr abschreckendes Äußeres für kurze Zeit gemildert und gezähmt werden. Ein von Geistern beseelter Ort, an dem Wort kommt man nicht vorbei.
    In anderen pura werde ich später erkennbare Götter aus dem unendlichen Pantheon sehen, Shiva, Garuda, Ganesha als tanzenden Elefanten, der den
     Tempel bewacht, Traumfiguren für mich, lebende Wesen für denjenigen, der hierherkommt, um etwas zu erbitten, um zu gedenken, zu beschwören. Ein Stück
     weiter auf der kleinen Insel steht ein anderer Tempel, der pura Susunan Wadon. Wieder so eine nach oben strebende Konstruktion aus
     aufeinandergetürmten schweren Steinen, eine kleine Treppe aus drei ausgehauenen Stufen, wer zur obersten hinaufsteigt, steht mit seinem Körper vor einer
    
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