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Schiffsdiebe

Schiffsdiebe

Titel: Schiffsdiebe
Autoren: Paolo Hannes; Bacigalupi Riffel
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tief den giftigen Dunst ein.
    Die Augen noch immer geschlossen, tastete er mit den Zehen nach dem Türrahmen. Für einen Moment befürchtete er, er würde ihn nicht mehr finden, aber dann kratzte er über Rost und stand wieder auf dem Sims. Fast hätte er gelächelt. Eine Tür mit einem Drehgriff. Eine Chance. Wenn es ihm gelang, das verdammte Ding aufzubekommen.
    Wieder hallte ein Scharren zu ihm herab. Sloth war also immer noch bei der Arbeit.
    » Hey, Sloth!«, rief er zu ihr hinauf. » Ich hab einen Ausgang gefunden. Mach dich auf was gefasst, du Miststück!«
    » Yeah?«, erwiderte Sloth. » Soll ich Pima holen?« Ihre Stimme klang spöttisch. Nailer wünschte sich noch immer sehnlichst, er könnte sie zu sich herunterzerren und im Öl ersäufen. Stattdessen versuchte er, gleichmütig zu klingen.
    » Wenn du Pima jetzt gleich holst, vergesse ich, dass du mich ertrinken lassen wolltest.«
    Eine lange Pause.
    Schließlich sagte Sloth: » Dafür ist es jetzt zu spät, oder? Ich kenne dich, Nailer. Du wirst mich auf jeden Fall bei Pima verpfeifen, und dann werfen sie mich raus.« Wieder Stille. » Das Schicksal soll entscheiden. Wenn du einen Weg nach draußen findest, sehen wir uns wieder. Und dann kannst du’s mir heimzahlen.«
    Nailer biss sich wütend auf die Lippen. Immerhin hatte er es versucht. Er konzentrierte sich auf die Tür unter dem Sims. Möglich, dass sie von außen verriegelt war. Oder das Rad ließ sich nicht drehen. Oder …
    Wenn sie verriegelt ist, stirbst du. Kann man nichts machen. Jeder weitere Gedanke ist zu viel …
    Er atmete tief ein und tauchte unter.
    Dieses Mal hatte er mehr Luft, und er wusste, was ihn erwartete. Er fand das Rad und ließ sich Zeit. Stemmte die Beine gegen die Wand, tastete nach der Verriegelung. Erst musste er das Rad aufdrehen und dann die Verriegelung lösen. Nailer probierte, ob das Rad sich bewegte. Nichts. Er legte mehr Kraft hinein, verlagerte das Gewicht, darauf bedacht, nicht abzurutschen.
    Nichts.
    Er hakte sich mit dem Ellbogen in dem Rad ein. Allmählich ging ihm die Luft aus, aber er wollte nicht aufgeben. Er zog am Rad. Fester. So fest, dass sich ihm das Rad in die Armbeuge grub. Seine Lungen drohten zu platzen.
    Das Rad gab nach.
    Nailer verdoppelte seine Anstrengungen. Vor seinen Augen tanzten goldene, blaue und rote Sterne. Das Rad drehte sich ein weiteres Stück. Mit aller Macht unterdrückte er den Drang, zur Oberfläche zu fliehen. Er drehte an dem Rad, immer schneller und schneller, bis seine Lungen wie Feuer brannten. Dann stieß er sich ab und tauchte auf.
    Er schnappte mehrmals hintereinander nach Luft; sein Keuchen hallte von den Wänden zurück.
    Tauchte wieder unter.
    Er zerrte an dem Rad, einmal, zweimal, dreimal. Alles oder nichts – er musste unbedingt hier raus! Nailer löste die Verriegelung. Ganz kurz befürchtete er, die Tür könnte sich nach innen öffnen und es würde ihm niemals gelingen, sie gegen den Druck des Öls aufzubekommen …
    Dann gab die Tür nach.
    Nailer wurde von der schwarzen Sturzflut mitgerissen. Krachte gegen eine Wand. Rollte sich zu einer Kugel zusammen. Öl umtoste ihn. Er schlug mit der Stirn gegen eine Metallkante, und fast hätte er nach Luft geschnappt, doch er machte sich noch kleiner, ließ sich von der Strömung tragen, wurde hin und her geschleudert und durch die Korridore des Schiffs gerissen wie eine Qualle, die von der Brandung auf die Felsen geworfen wurde.
    Und plötzlich schoss er ins Freie hinaus.
    Nailers Magen sackte nach unten. Freier Fall. Unwillkürlich öffnete er die Augen. Beißendes Öl und blendender Sonnenschein. Ein spiegelglatter Ozean, fast weiß im gleißenden Licht. Blaue Wellen stürzten ihm entgegen. Ihm blieb nur eine Sekunde, um sich herumzudrehen …
    Er klatschte ins Wasser. Wurde vom salzigen Meer verschluckt. Über ihm hob und senkte sich die Gischt. Nailer paddelte zur Oberfläche. Tauchte keuchend auf und schnappte nach Luft. Sauerstoff füllte seine Lunge. Er hatte es geschafft! Er hatte das Unmögliche geschafft!
    Über ihm quoll Öl aus einem Riss im Rumpf des Tankers – dort hatte das Schiff ihn ausgespuckt. Die schwarze Flüssigkeit ergoss sich über das Metall, bildete klebrige Rinnsale. Er war aus einer Höhe von zwanzig Metern ins seichte Wasser gefallen – und lebte noch! Nailer fing an zu lachen.
    » Ich lebe!«, rief er. Und dann schrie er, so laut er konnte, von Freude und überwundener Angst erfüllt, ganz trunken von der Sonne und den Wellen und den
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