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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Autoren: Orlando FIGES
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borgte, abzutippen. Rschewkin legte der Zeitschriftenredaktion die Übersetzungen in seinem eigenen Namen vor und übergab Sweta die Honorare zur Weiterleitung an Lew. Wäre herausgekommen, dass die Übertragungen von einem ehemaligen Häftling angefertigt worden waren, der nicht in der Sowjethauptstadt arbeiten durfte, hätte das einen Skandal gegeben. Bald schrieb Lew auch Buchrezensionen und Artikel, die Rschewkin ebenfalls mit seinem Namen unterzeichnete, wobei er die Bezahlung wiederum an Lew abtrat.
    Lew fuhr häufig nach Moskau, um Sweta zu besuchen. Oft blieb er tagelang, manchmal sogar länger als eine Woche. Seine Aufenthalte in der Sowjethauptstadt waren ungesetzlich – genaudas bedeutete der Stempel in seinem Pass. Wäre er von der Polizei erwischt worden, hätte man ihn ausgewiesen und möglicherweise zurück ins Arbeitslager geschickt. Zuerst erfüllte ihn der Gedanke, Moskau zu betreten, mit Furcht. Doch er tröstete sich damit, dass Sweta ihn dort unterstützen würde. Vor seinem ersten Besuch im August hatte er geschrieben:
     
Sweta, manchmal wenn ich in einem Gedränge oder auf der Straße bin, fühle ich mich unbehaglich, aber dann stelle ich mir vor, dass Du neben mir bist, und sofort kann ich den Kopf höher heben, die Unannehmlichkeit geht vorbei, und alles scheint einfacher und leichter zu sein.
     
    Was hielt Lew von Moskau? Er hatte es seit dreizehn Jahren nicht gesehen und sich die ganze Zeit über nach der Rückkehr gesehnt. Nichts war ihm lieber gewesen, als im Arbeitslager mit seinen Moskauer Mitbürgern über die Stadt zu sprechen oder Neues von Sweta über sie zu hören. Sogar in seinen Träumen war sie aufgetaucht. Bei der Erinnerung an seine Heimkehr nach Moskau meinte Lew später, dass sich die Stadt nicht sehr verändert zu haben schien. Mehr Autos fuhren auf der Straße, die Metro war erheblich voller, und die Menschen kleideten sich besser, aber sonst war es »das gleiche alte Moskau«, das er bis zu seinem 24. Lebensjahr gekannt hatte.
    Gegen Ende 1954 wohnte Lew im Grunde bei den Iwanows. Tagsüber, während Sweta im Institut war, arbeitete er an seinen Übersetzungen und versorgte ihre Mutter, die nun unter fortgeschrittener Tuberkulose litt. Auch Swetas Vater war zu Hause und musste gepflegt werden, weshalb Sweta eine Haushälterin angestellt hatte, die in der Küche schlief, da es sonst keinen Platz in der Wohnung gab. Lew zog in Jaras Zimmer – Swetas Bruder wohnte nun in Leningrad –, und Sweta selbst übernachtete bei ihren Eltern, damit sie sich bei Bedarf um ihre Mutter kümmern konnte.
    Anastasia starb am 28. Januar 1955. Lew war bei ihr, als sie entschlief. Er hatte sie gerade im Bett angehoben, damit sie sich bequemerfühlte, und umarmte sie, wie sie ihn vor all den Jahren vor seiner Abreise an die Front umarmt hatte, als sie ihre letzten Worte sagte: »Danke, Gott.«
    Da Lew sich illegal in Moskau aufhielt, achtete er darauf, Swetas Nachbarn auf der Treppe zu meiden, wenngleich einige der vertrauenswürdigeren seit Jahren über ihn Bescheid wussten. Außerdem musste er der Polizei draußen aus dem Weg gehen – keine leichte Aufgabe, da er die Neigung hatte, die Straßen dort zu überqueren, wo er es aus seinen Studententagen gewohnt war, ohne zu wissen, ob man dies mittlerweile verboten hatte (im Moskau der Nachkriegszeit herrschten strenge neue Gesetze gegen Unachtsamkeit im Straßenverkehr). Wenn er das Haus verließ, nahm er nie seinen Pass mit, für den Fall, dass er von der Polizei angehalten wurde. Stattdessen hatte er immer eine leere Tasche, einen Einkaufszettel und Geld bei sich, damit er behaupten konnte, er wohne um die Ecke und sei nur kurz zu einem der Läden unterwegs. Manchmal legte er eine Flasche Wodka als Requisit in die Tasche, damit er vortäuschen konnte, sie für einen Besucher gekauft zu haben. Dies verlieh seiner Geschichte Glaubwürdigkeit und gab der Polizei die Möglichkeit, etwas zu beschlagnahmen, bevor sie ihn weitergehen ließ. Alles verlief reibungslos, bis jemand eines Tages an die Tür der Iwanows klopfte. Es war ein Polizist. Er wollte wissen, wer ohne Aufenthaltsrecht hier wohne. Lew hörte das Gespräch im Flur und schickte sich an, die Flucht zu ergreifen. Doch der Mann war nur an der Haushälterin interessiert, die sich tatsächlich nicht bei der Polizei angemeldet hatte. Die Situation wurde geklärt, und Lew konnte aufatmen.
    Am 17. September 1955 erhielt Lew eine gute Nachricht: Die Sowjetregierung rief eine Amnestie für
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