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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Autoren: Orlando FIGES
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Angesichts des Geldes, das Swetas Vater ihnen geschenkt hatte, dachte Lew über einen Wohnungskauf nach.
     

    Die Roschtschins
     
Schon ein Kämmerchen in einem Haus am Rand von Kalinin kostet 14 000 Rubel. Daraus schließe ich, dass es unmöglich ist, eine Villa für 30 000 zu finden. Vielleicht wäre es besser, gar nicht erst in Kalinin zu suchen, sondern sich in Jar[oslawl] oder Wor[onesch] umzusehen. Aber wenn wir es ernst meinen, dann denke ich, dass Dein Vater selbst Ausschau halten sollte, obwohl keine große Eile besteht. Hier im Dorf hat jemand eine halbe Hütte kürzlich für 10 000 Rubel erworben, was als gutes Geschäft galt. Dabei muss der neue Eigentümer noch auf eigene Rechnung Reparaturen vornehmen lassen.
     
    Sweta, die eine weitere Dienstreise zur Inspektion der Fabrik in Jaroslawl hinter sich hatte, beschrieb Lew die Aussichten in der Stadt an der nördlichen Wolga:
     
Dies ist immer noch ein sehr schlechter Zeitpunkt für die Arbeitssuche, denn überall werden Kürzungen erwartet. Die Verwaltungwird hier um 12 Prozent verringert … Nimm es also nicht persönlich, Ljowa. Du hast selbst erwähnt, dass sie in der Mehrzahl der Fälle schlicht antworten: »Wir brauchen niemanden«, ohne eine einzige Frage zu stellen. Und lass Dich nicht unterkriegen, falls sich die Sache in die Länge zieht, denn sonst verliere auch ich den Mut, wenn ich Dich nur ansehe.
     
    Gegen Ende August war es Lew endlich gelungen, seinen Pass vom Sowjet in Emmaus zu erhalten. Nun besaß er eine Aufenthaltserlaubnis (und damit auch eine Arbeitsgenehmigung) für das Gebiet Kalinin. Sein Pass trug allerdings den Stempel »Art. 39«, wodurch mögliche Arbeitgeber erfuhren, dass er ein ehemaliger Häftling war. Lew bemühte sich in über zwanzig Fabriken um Arbeit, dazu auf Baustellen, in Schulen und sogar in einem Theater und einem Museum. Die Antwort war überall die gleiche: »Wir brauchen wirklich niemanden.« Nach drei Monaten begann er zu verzagen. »Swetloje«, schrieb er am 23. November,
     
der Tag hat nichts wirklich Neues erbracht, es sei denn, man berücksichtigt die schwache Hoffnung, an drei der neun Stätten, bei denen ich heute vorgesprochen habe, Arbeit zu finden. Ich war in der Handelsschule, in der Textilfachschule, der Textilfabrik (einer anderen, nach Wagschanow benannten), der Strickwarenfabrik, in der Seidenweberei (»Proletarier«), im Testlabor für Baumaterialien und auf der Baustelle für die Druckerei, aber niemand hat etwas anzubieten. In drei Fällen bin ich aufgefordert worden, mich später erneut zu melden: in der Textilfabrik Woroschilow, die einen Heizungstechniker benötigt, und in der Bekleidungsfabrik Wolodarski, in der die Stelle eines Technikers für chemische Aufbereitung (oder eines Vorarbeiters) zu besetzen ist – »mein krönender Abschluss« in den letzten anderthalb Jahren, wie Du weißt. In beiden Fabriken wird das Personal abgebaut, und die Geschäftsführer waren sich nicht sicher, ob sie diese Posten mit ihren eigenen Angestellten besetzen. Sie wollen sich beratschlagen und mir morgen tagsüber eine Antwort geben.Die dritte Möglichkeit besteht in der Fernstudienabteilung der Gewerbeschule, wo sich die Lehrer für theoretische Mechanik und höhere Mathematik beim Direktor wegen Überlastung beschwert haben. Der Direktor will ermitteln, ob diese Lehrer ihr Pensum wirklich verringern wollen. Wenn ja, wird er empfehlen, dass ich für sie einspringe. Aber es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen abstrakten Beschwerden wegen Überlastung und einem tatsächlichen Verzicht auf Geld. Daher erwarte ich nicht zu viel für Montag (oder Dienstag), wenn ich mich nach den Verhandlungsergebnissen des Direktors erkundigen soll. Das ist einstweilen alles.
     
    Am Ende gab Lew die Arbeitssuche gänzlich auf. Denn Sweta fand für ihn durch Vermittlung von Sergej Rschewkin (»Onkel Serjoscha«), dem Freund seines Vaters, der Professor für Akustik an der Universität Moskau gewesen war, eine freiberufliche Tätigkeit als Übersetzer. Rschewkin hatte gute Kontakte zu Physik , einer Zeitschrift mit Sitz in Moskau, die Übersetzungen von Artikeln aus dem Deutschen, Französischen und Englischen benötigte, also aus Sprachen, die Lew in der Schule gelernt oder in den Arbeitslagern aufgeschnappt hatte. Sweta brachte die Artikel nach Kusminskoje und nahm die übersetzten Texte mit zurück nach Moskau, um sie dort mit einer Schreibmaschine, die sie sich von einer Nachbarin in ihrem Wohnblock
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