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Schenkel, Andrea M

Schenkel, Andrea M

Titel: Schenkel, Andrea M
Autoren: Bunker
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ich von diesem Licht angezogen, als schwimme ich durch die Leere dem Licht entgegen. Die Helligkeit verdrängt das Dunkel, ich bin in einem Raum. Der Raum ist mir vertraut, ich war bereits hier, unzählige Male war ich hier. Weiß nicht wann. Weiß nicht warum. Ich drehe mich um mich selbst, drehe mich um meine eigene Achse. Sehe den Raum durch meine Augen und sehe mir im gleichen Augenblick dabei zu, wie ich mich drehe und umblicke. Wie aus dem Nichts steht der Junge vor mir, mager und klein. Ich gehe auf ihn zu, ich erkenne ihn nicht, und doch ist er mir irgendwie bekannt, wie der Raum, in dem ich mich befinde. Das Gesicht des Jungen wandelt sich, es wird mir vertrauter mit jedem Schritt, mit dem ich mich auf ihn zu bewege. Joachim? Joachim, es ist Joachim, es muss Joachim sein! Meine Unsicherheit wandelt sich in Bestimmtheit. Daneben ein Mädchen, vielleicht dreizehn Jahre alt, dunkelblond, Zopf. Näher ran, noch näher. Woher kommt das Mädchen so plötzlich? Sie steht im Raum neben mir, nein, nicht neben mir … ich bin in ihr. Ich bin das Mädchen. Ich bin das Mädchen, bin wieder ein Kind. Die Bilder fließen ineinander, eines ergibt sich aus dem anderen. Der Junge, Joachim, wendet sich mir zu. Ich verstehe ihn nicht. Er plappert vor sich hin, viel zu schnell. Ich kann ihn nicht verstehen, es ergibt keinen Sinn. Langsam bildet sich ein Wort.
    Ich fange an zu verstehen. »Sparschwein«. Ich blicke zu Boden. Der Boden ist übersät mit tönernen Scherben. Zwischen den Scherben Münzen. Pfennige, Zehnpfennigstücke. Joachim beugt sich hinab, kniet vor mir. Er trägt kurze Hosen, kniet mit nackten Beinen auf den Scherben, die bloßen Knie blutig. Er blickt nach unten auf die Münzen. Meine Hand greift in sein weiches Haar, schüttelt seinen Kopf, zieht seinen Kopf zu mir hoch, das Gesicht nass von Tränen, Rotz läuft aus seiner Nase. »Du kleiner Dieb, du Miststück.« Ich spüre die Wut in mir, spüre eine unglaubliche Wut in mir. Meine freie Hand schlägt wie wild auf seinen kleinen Kopf ein, hört nicht mehr auf. Er blutet, ich schlage weiter, schlage, schlage … bis sein Kopf, sein Körper nun schlaff an meiner Hand hängt. Gleichgültig sehe ich mir selbst dabei zu, wie ich ihn loslasse. Sein Körper sackt zusammen, liegt nun reglos am Boden, auf den Scherben. Blut sickert langsam als dünner roter Faden aus dem Ohr. Neugierig strecke ich die Hand aus, berühre das Rinnsal. Sehe es auf meiner Fingerkuppe glänzen. Ich beuge mich hinab, spüre, wie meine Lippen seine Wangen berühren, küsse sein blutig verschmiertes Haar. Noch während meine Lippen ihn berühren, möchte ich, dass er verschwinden soll. Sein Körper muss weg! Er soll fort! Ich hole die Schubkarre, versuche den Körper auf die Karre zu hieven. Obwohl er so klein und mager ist, ist der Körper unglaublich schwer. Kaum habe ich es geschafft und er liegt oben, rutscht er auf der anderen Seite wieder von der Karre.
    »Hallo, Monika, willst du mich eine Runde spazieren fahren?« Ich stutze, drehe mich um. Ich stehe auf einer Wiese, bin nicht mehr in einem geschlossenen Raum. Joachim steht dort an eine Weide gelehnt. Joachim, der eben noch wie tot auf dem Boden lag. Er hält eine Hand an sein Ohr und grinst.
    Das Bild verwischt, ich wache aus dem Traum auf, gleite hinüber in die Wirklichkeit. Ich versuche meine Augen zu öffnen. Das klappt nur mit dem rechten und auch mit dem nicht richtig. Ich blinzele, das Licht ist grell, gleißend. Ich schließe das Auge wieder. Versuche es noch einmal. Dieses Mal kann ich es schon etwas länger offen halten, ich habe mich an die Helligkeit gewöhnt. Wo bin ich? Bin ich allein? Ich spüre die Hand in meinem Haar nicht mehr. Ich liege auf der Seite, die Hände noch immer auf dem Rücken gefesselt. Mein Mantel über mir. Auf dem Teppichboden mit dem Rücken zur Wand, im Flur zwischen Bürotür und Personaltoilette. Wie liegt der Mantel, wo sind die Manteltaschen? Die Taschen sind innen. Er hat den Mantel mit dem Innenfutter nach außen über mich gelegt. Ich versuche mit meinen Fingern den Stoff zu erwischen. Taste mich, so weit dies mit gefesselten Händen auf dem Rücken geht, vor. Die Arme schmerzen, die Hände fühlen sich an, als ob sie eingeschlafen wären. Ich muss die Finger eine Zeit lang bewegen, ›aufwecken‹, ehe sie mir wieder gehorchen. Irgendwie schaffe ich es, den Stoff zwischen meine Finger zu klemmen. Ich fühle den Rand der Manteltasche. Ertaste den umgeschlagenen Rand des Stoffes. Ziehe
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