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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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mir, sie ist mir gefolgt, sie ist über die glitschigen Klippen hinter mir hergelaufen.
    »Komm jetzt«, sagt sie.
    »Siehst du den Mann? Wie sieht er aus?«
    »Ich glaube, er ist tot«, sagt Mara.
    »Aber wie sieht er aus?«
    »Ich kann nichts erkennen, es ist dunkel. Du bist durch eine Absperrung gelaufen. Komm jetzt.«
    »Ich habe ihn schreien hören. Vom Balkon aus, hast du auch etwas gehört?«
    »Nein. Komm jetzt.«
    »Du musst doch den Schrei gehört haben, kurz bevor das Feuerwerk endete.«
    »Komm«, sagt Mara. Ich spüre ihre Hand.
    »Aber das Feuerwerk war schön«, sage ich. »Es hat dir doch gefallen? Sag, dass es dir gefallen hat, Mara.«
    »Natürlich. Es hat mir gefallen.«
    »Ist der Mann jetzt Arzt oder nicht?«, fragt einer.
    Mara führt mich über die Klippen zurück.
    »Sag, dass es ein schöner Abend war, Mara.«
    Mara schweigt, sie läuft zielstrebig, ich höre, wie sich die Stimmen entfernen, der Nebel, den das Feuerwerk hinterlassen hat, lichtet sich, die Luft ist klar, und ich spüre, wie wir uns Maras rotem Holzhaus nähern.
    »Ich liebe dich, Mara«, sage ich, das habe ich noch nie gesagt.
    Ich spüre, wie Mara den Druck ihrer Hand in meiner verstärkt, ich taste nach der Wunde an Maras Hand und glaube zu spüren, dass sie verheilt.

5
    Die kühle Frische des Morgens. Die Nacht, in der ein Mann die Klippen hinabgestürzt ist, scheint weit weg zu sein, obwohl es erst gestern war, es ist wenige Stunden her, und dazwischen lagen nur Maras Liebe und ein Schlaf, der so tief gewesen ist, dass ich mich wundere. Es muss an Mara liegen, die mich bewusstlos gestreichelt hat und mich am Morgen streichelnd weckt.
    »Mara.«
    »Ja?«
    »Hast du gestern nicht den Schrei gehört? Als wir auf dem Balkon standen, während des Feuerwerks?«
    »Nein.«
    »Aber … Weißt du, wer dieser Mann gewesen ist, der …«
    »Nein. Lass doch. Versuch, es zu vergessen.«
    »Aber …«
    »So etwas passiert.«
    »Aber doch nicht hier … auf unserer Insel.«
    Mara lacht.
    »Wieso lachst du?«
    »Nichts.«
    »Was ist daran lustig, dass ein Mann ins Meer stürzt?«
    »Nichts«, sagt Mara.
    »Warum lachst du dann?«
    Mara löst ihre Hand von meiner Haut, ich versuche, nach ihr zu greifen, aber ich greife ins Leere.
    »Es war nicht so gemeint«, sage ich. »Bitte mach weiter.«
    Ich spüre wieder ihre Hand, die sich in meine Schulter krallt.
    »Das ist sehr schön«, sage ich.
    »Es könnte mit dir zusammenhängen«, sagt Mara.
    »Was?«
    »Zum ersten Mal ist jemand von den Klippen gestürzt. Es ist jetzt passiert, und jetzt bist du hier.«
    »Das heißt?«
    »Dass es etwas mit dir zu tun hat. Damit, dass du hier bist.«
    »Das meinst du hoffentlich nicht ernst.«
    »Natürlich nicht«, sagt Mara.
    »Warum sagst du es dann?«
    »Weil wir vereinbart haben, dass alles, was wir sagen, keine Bedeutung hat.«
    »Aber …«
    »Lass uns den Tag verschlafen«, sagt Mara.
    Mara schläft, obwohl ich ihr gesagt habe, dass ich nicht mehr werde schlafen können. Ich höre, dass Mara atmet, ich wünschte, ihre Hand würde noch über meinen Rücken streichen, aber sie liegt schlaff auf dem Laken, und ich erinnere mich an
    etwas, das lange vergessen war:
    Eine Reise in einem blauen Bus.
    Die Sonne taucht mein Blickfeld in helles Grau. Ich sehe Maras Schattenriss. Sie schläft, als werde sie nicht mehr aufwachen. Wenn Mara immer weiterschläft, werde ich ihr all die Dinge nicht sagen können, die ich ihr noch zu sagen habe, aber ich muss keine Angst haben, denn Mara erwacht, als jemand an die Tür klopft.
    »Was ist?« Maras Stimme kommt heiser und schwach aus tiefem Schlaf. »Jemand hat geklopft«, sage ich und taste nach ihr. Ich bin erleichtert, dass sie wach ist, dass sie bei mir ist. Es klopft wieder an der Tür, lauter und länger.
    »Was soll das?«, sagt Mara. »Wir wollten doch schlafen.«
    »Ist jemand zu Hause?«, ruft dumpf eine männliche Stimme von draußen.
    »Wer ist das?«, fragt Mara.
    »Ich weiß nicht.«
    »Ist da wer?« Der Fremde hämmert gegen die Tür.
    »Moment«, ruft Mara und schüttelt meine Hand ab.
    »Mara?«, sage ich, sie antwortet nicht. Ich höre, wie sie die Tür öffnet, wie sie mit dem Besucher spricht. Nach einiger Zeit Schritte, die sich nähern.
    »Mara?«, frage ich, aber der Schattenriss im Türrahmen gehört dem Besucher, der eine Weile nur dasteht und schweigt.
    »Wer sind Sie?«, frage ich.
    »Polizei, es geht um den Mann, der gestern während des Feuerwerks zu Tode kam.«
    »Ja. Können wir da
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