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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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Glas und führt das Glas zum Mund.
    »Mara?«
    »Ja?«
    »Hat er noch etwas gesagt? Ihr habt eine Weile an der Tür gesprochen.«
    »Ich glaube, er mag mich.«
    »Wie bitte?«
    »Ich glaube, dass dieser Polizist mich mag.«
    Ich kneife die Augen zusammen, in der Hoffnung, ein Lächeln auf Maras Gesicht zu erkennen, aber ich sehe nichts. »Lächelst du?«, frage ich.
    »Natürlich.«
    »Wenn ich dich frage, wie sehr du mich liebst auf einer Skala von eins bis zehn, was sagst du?«
    »Zwölf«, sagt Mara.
    »Das freut mich.«
    »Hörst du?«
    »Hm?«
    »Hörst du die Fähre?«
    Ich konzentriere mich und höre leise, aber deutlich
das Geräusch des altersschwachen Motors. »Ja«, sage ich.
    »Hoffentlich ist der Polizist schnell genug. Er wollte die nächste Fähre ans Festland erwischen.«
    »Tja.«
    »Ach, und er hat mich gebeten, dir noch mal gute Besserung zu wünschen.«
    »Hm, danke.«
    »Und er hat gesagt, dass sie die Sache aufklären werden.«
    »Das will ich hoffen.«
    »Er meint auch, dass der Mann vielleicht doch gestürzt sein könnte.«
    »Mhm. Aber er hat doch diese Zeugenaussagen.«
    »Ja. Ich glaube, er wollte einfach etwas Nettes sagen. Als er schon ein Stück weg war, hat er mir zugerufen, dass man ja eigentlich blind sein müsste …«
    »Immerhin war der Mann betrunken.«
    »… dass man ja blind sein müsste, um einfach so ins Wasser zu fallen.«
    Ich nicke eine Weile, um dann zu sagen: »Vierzehn.«
    Mara lacht.
    »Auf einer Skala von eins bis zehn gebe ich dir volle vierzehn Punkte«, erkläre ich, obwohl ich weiß, dass Mara längst verstanden hat.
    Mara führt mich an den Wänden entlang zurück ins Schlafzimmer, in dem heiß die Luft steht. Wenn Mara nicht da wäre, würde ich jetzt Angst haben, aber Mara zieht mich langsam, geduldig aus, deckt mich zu und schenkt mir das Gefühl, das ich so dringend brauche, das Gefühl, einzuschlafen in dem Gefühl, nicht mehr aufzuwachen.
    Etwas, das lange vergessen war:
    Ich höre ein Lied, das ich lange nicht gehört habe, so lange, dass ich nicht mehr wusste, es zu kennen, bis zu dem Moment, in dem sich die Melodie herauskristallisiert.
    Das Lied ist verbunden mit Gesichtern von Menschen, die ich lange nicht gesehen habe und mit denen ich eine Reise unternommen habe, meine erste große Reise. Eine Reise in einem blauen VW-Bus. Ich sitze in dem blauen Bus, es ist Sommer, und ich fahre mit Freunden durch die flirrende Hitze auf kein Ziel zu.
    Manchmal legen wir eine Pause ein und bauen Zelte auf, obwohl wir nicht schlafen werden, wir werden wach bleiben, weil wir ansonsten etwas verpassen, wir wissen nicht, was. Was ist nicht wichtig.
    Es ist Nacht, wir sitzen vor einem Lagerfeuer auf kühlem Sand am Meer. Alle sind betrunken, und ich erzähle eine wirre Geschichte, um einem Mädchen zu gefallen, das mir gefällt. Einer meiner Freunde spielt Gitarre, und ich stelle mir vor, das Mädchen zu küssen, wenn ich meine sinnlose Geschichte beendet habe, aber ich finde kein Ende, und während ich darüber nachdenke, was ich damals genau erzählt habe, versickert hinter meinen Augen die Erinnerung.
    Der sanfte Druck von Maras Lippen auf meinen. Ich öffne den Mund und bin erleichtert, als Maras Zunge in mich eindringt. Ich stelle mir vor, dass sie immer bei mir sein wird und dass ich jedes einzelne ihrer Worte so gut verstehen werde, als hätte ich es selbst gesprochen.
    Angenommen, das, was passiert ist, sei ohne Bedeutung. Ein Mann ist die Klippen hinuntergestürzt. Womöglich wurde er gestoßen, eine Untersuchung wird das klären. Eine Untersuchung, mit der ich nichts zu tun habe. Ein Mann, den ich nicht kenne. Ein Feuerwerk, zu dem ich ohnehin nicht gehen wollte.
    Das Gefühl aufzuwachen in dem Gefühl, nie wieder einzuschlafen.

6
    Am Waldrand liegt ein kleiner Löwe, rekelt sich in der Sonne und fühlt sich wohl. Der Himmel ist blau.
    Und dann steht der Löwe auf und läuft in den Wald hinein. Zielstrebig, er scheint genau zu wissen, was er will, sein Schritt ist federnd und leicht und sein Gesichtsausdruck immer gleich, der Löwe lächelt und läuft im Schatten saftig grüner Bäume, und ab und zu bricht die Sonne durch.
    Nach einer Weile begegnet der Löwe einer Eule, die auf einem Baum sitzt und den Hebel für eine rot und weiß gestreifte Schranke bedient, die dem Löwen den Weg versperrt. Die Eule erklärt dem Löwen freundlich, aber bestimmt, dass seine Reise hier zu Ende ist. Es sei denn, der Löwe erfülle seine erste Aufgabe.
    »Und die wäre?«,
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