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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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bin, zum ersten Mal in meinem Leben.
    Maras Schattenriss sieht auf das Meer hinaus, und Mara schweigt.
    Die Insel:
    Nähe und Berührung.
    Das Leben ist greifbar.
    Nichtgesagtes ist unerheblich.
    Gesagtes ist nichts.
    Bevor ich Mara wiedertraf, ist sie immer bei mir gewesen in dem zehrenden, wunderbaren Gedanken daran, was wir am nächsten Morgen gesprochen hätten.
    Eine Flasche mit Wasser. Eine Tablette. Es sprudelt, während sie sich auflöst.
    Draußen, hinter der Glaswand meines Büros, eine Tankstelle und ein Regenbogen. Mein Kompagnon steckt seinen Kopf durch den Türspalt und fragt, wie ich vorankomme.
    »Bestens«, sage ich.
    »Na dann«, sagt er.
    »Du hast schlecht geträumt«, sagt Mara, ihre Hände streichen über meinen Rücken. Ich bleibe liegen und konzentriere mich auf die Nähe, die Mara mir gibt.
    »Kannst du dich erinnern, was es war?«, fragt Mara.
    »Hm?«
    »Dein Traum. Es muss etwas Schlechtes gewesen sein.«
    »Ich weiß nicht mehr.«
    Irgendwann löst sich Mara. »Ich gehe jetzt«, sagt sie. Sie küsst mich auf den Mund, so fest, dass ich meine Lippen nicht öffnen kann.
    »Bis heute Abend«, sagt sie.
    Mara arbeitet als Zimmermädchen im Hotel am Strand. Ich setze mich aufrecht und höre, wie sie sich anzieht, wie sie den Fahrradschlüssel sucht, das macht sie jeden Morgen. Ich höre sie fluchen. Ein Klirren, als sie den Schlüssel findet, dann nimmt sie ihren Rucksack, sie sagt, es sei derselbe, den sie schon damals dabeihatte. Ich höre, wie sie den Reißverschluss des Rucksacks öffnet und schließt. Es ist ein rosaroter Rucksack. Ich habe gelacht, als ich ihn vor vielen Jahren zum ersten Mal gesehen habe.
    »Bis später«, ruft sie, sie ist schon an der Tür.
    »Mara!«
    »Ja?«
    Ich warte, ich höre ihre Schritte.
    »Was ist?«, fragt sie.
    Ich sehe ihren Schattenriss im Türrahmen. Ich strecke die Hände nach ihr aus. Sie kommt auf mich zu, sie ist bei mir, ihre Hände in meinen kalt und weich. Ich taste nach der Wunde an ihrer rechten Hand, ich spüre die Kruste.
    »Es verheilt gut«, sage ich.
    Mara schweigt, wartet.
    »Sag noch etwas, Mara«, sage ich.
    »Was?«
    »Etwas.«
    »Am Waldrand liegt ein kleiner Löwe, rekelt sich in der Sonne und fühlt sich wohl.«
    Ich lache. Mara lacht. Dann löst sie sich von mir. Ich ahne, wie sich grau auf schwarz ihr Schattenriss entfernt. Ich stelle mir vor, dass Mara auf ihr Fahrrad steigt und losfährt, es ist ein gelbes Fahrrad, sagt sie, wie das Fahrrad des Postboten.
    Ich sehe hinter meinen Augen, wie Mara an einem blauen Tag mit ihrem rosaroten Rucksack auf dem gelben Fahrrad den grünen Hügel hinunterradelt. Ich warte, bis sich das Bild auflöst.
    Dann stehe ich auf, taste mich ins Freie, setze mich auf den Rasen vor Maras Haus und beginne, auf Maras Rückkehr zu warten.
    Was Mara sagte:
    Jedes Wort hätte uns ein wenig von dem genommen, was wir uns gegeben haben.
    Der Satz gefällt mir, ich glaube, dass er wahr ist, obwohl Mara gelacht hat. Ich muss noch darüber nachdenken, obwohl ich gehofft habe, auf der Insel zu sein bedeute, nicht mehr nachdenken zu müssen.
    Es ist schwieriger, als ich angenommen habe.
    Etwas, das lange vergessen war:
    Ein Mitschüler, der bei einer Bergwanderung in eine Schlucht stürzt. Es müssen die Herbstferien gewesen sein. Ich erinnere mich, wie einer meiner Freunde mir davon erzählt. Wir stehen in einem Garten. Ein großer Garten, der Rasen ist feucht und übersät mit gelben und roten Blättern. Türkisblaue Abenddämmerung.
    Mein Freund sagt, der Mitschüler, der in eine Schlucht gestürzt ist, sei jetzt gelähmt und nicht mehr richtig im Kopf.
    Wir stehen im Garten, in Trainingshosen, ich versuche, einen Fußball mit dem Finger zu balancieren. Wir sind außer Atem, wir haben eine Weile auf ein Tor aus Baumstämmen geschossen. Mir ist kalt, ich schwitze, und dann erzählt mein Freund das von unserem Mitschüler.
    Der Junge, der jetzt angeblich gelähmt ist und nicht mehr richtig im Kopf, ist ein toller Fußballspieler. Wir haben als kleine Kinder schon gemeinsam in einer Mannschaft gespielt, und jetzt spielen wir in den Pausen in der Schule immer mit einem kleinen gelben Softball auf Tore aus Pullovern. Er ist mein Lieblingsmitspieler, er spielt mannschaftsdienlich, klug. Wenn ich ein Tor schieße, ist er immer der Erste, der mich beglückwünscht.
    Mein Freund fragt, was ich zu der Sache sage, aber ich bringe kein Wort heraus. Ich lache. Ein Stechen im Magen. Mein Freund reißt mir den Ball aus der
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