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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Autoren: Tanja Heitmann
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Kinder hätte sie zurücklassen müssen, ansonsten wäre sie wohl nicht einmal bis zur Bushaltestelle gekommen. Eine durch und durch hässliche Geschichte. Wie sollte die mit meinem strahlenden Sam zusammengehen, außer dass die Nachnamen übereinstimmten? Die Worte rauschten an mir vorbei, weil sie so unglaublich waren. Aber mir entging nicht die Anspannung, unter der mein Dad stand, und auch nicht, dass Rufus die Tischkante hielt, als wolle er sie in zwei Teile brechen.
    »Der Junge mag zwar von zu Hause weg sein, aber das ändert nichts an dem, was Bristol regelmäßig mit ihm anstellt, wenn er ihn in die Finger bekommt. In der ganzen Stadt redet man darüber, und da du mit Sam zusammen Sport machst, dürften dir seine blauen Flecken ja wohl kaum entgangen sein.«
    »Darüber reden wir nicht, dass ist Sams Privatsache«, hielt Rufus dagegen. Aber ich konnte es ihm ansehen, dass er trotzdem darüber nachgedacht hatte.
    Obwohl mich die aufgeladene Stimmung einschüchterte, konnte ich mich nicht länger zurückhalten. »Was tut Sams Vater denn mit ihm?«
    Mein Vater warf mir einen Blick zu, als hätte er ganz vergessen, dass ich ebenfalls mit am Tisch saß. Vermutlich hatte er das tatsächlich, ansonsten hätte er das Thema vor seiner knapp vierzehnjährigen Tochter wohl vermieden, die in letzter Zeit dank ihrer pubertären Hormonwallungen ohnehin zu dicht am Wasser gebaut hatte. Mich brachte schon der bloße Gedanke, dass unsere Katze Pingpong eines Tages sterben musste, aus der Fassung. Dabei hatten wir Pingpong gerade erst als Kätzchen aus dem Tierheim geholt.
    Mit einem Schlag war der Ärger meines Vaters wie fortgewischt und er setzte stockend zu einem »Nun ja …« an. Weiter kam er jedoch nicht.
    Meine Mutter, die die Auseinandersetzung mit besorgter Miene verfolgt hatte, kam ihm zu Hilfe. »Jonas Bristol schlägt Sam. Im letzten Frühjahr hat sich endlich das Jugendamt eingemischt, weil Sam mit einer Schnittwunde am Arm operiert werden musste. Obwohl ›Schnittwunde‹ wohl kaum das richtige Wort für das ist, was Bristol mit ihm angestellt hat. Er hat ihm mit dem Messer in den Unterarm geschnitten. Irgendwelche Zeichen.«
    Ich kannte die rot leuchtenden Schnitte nur vom Hörensagen, denn seitdem trug Sam selbst im Hochsommer lange Ärmel. Alle hatten es für eine Art missglückte Mutprobe gehalten, etwas, das Jungen taten, wenn sie am Samstagabend zu viel Bier getrunken hatten und ihnen langweilig war.
    Augenblicklich nahm der Druck hinter meinen Augen zu, aber ich weigerte mich, den Tränen freien Lauf zu lassen. Wenn ich mich gehen ließ, würde meine Mutter das Thema wechseln, und ich wollte das hören.
    Glücklicherweise tauschte sie gerade einen Blick mit meinem Vater aus, dem es offensichtlich gar nicht gefiel, dass sie solche unschönen Dinge erzählte. Abwägend legte Reza den Kopf zur Seite, dann sagte sie: »Soviel ich gehört habe, ist die Krankenakte des Jungen unglaublich dick. Alles Unfälle, wie Sam nicht müde wird zu betonen. Aber nach dieser Angelegenheit wollte das niemand mehr hören. Gott sei Dank.«
    Meine Mutter gehörte zu der Sorte Mensch, die Gesellschaft liebte. Da sie sich außerdem als Künstlerin verstand, verband sie das Nützliche mit dem Angenehmen und gab Kreativkurse für Kinder im Haus der Jugend . Da konnte sie sich hervorragend mit anderen Eltern unterhalten oder auch mit den Mitarbeitern des Jugendamtes, die vermutlich froh waren, wenn sie sich einmal ihre Sorgen von der Seele reden konnten.
    »Sams Vater tut ihm weh … so sehr, dass er ins Krankenhaus musste?« Meine eigene Stimme dröhnte mir fremd in den Ohren. Mein Vater lehnte sich über den Tisch und legte mir eine Hand auf die Schulter. Sie war tröstend schwer, trotzdem schüttelte ich sie ab. »Sam wird geschlagen?«
    Ich konnte es kaum glauben. Natürlich kannte ich auch die Narbe neben seinem linken Auge, die wie ein silberner Halbmond aussah, wenn man lang genug hinsah. Ebenso hatte ich die Platzwunde am Kinn und die oft bandagierten Handgelenke gesehen. Aber Sam war halt ein Junge und denen passierte doch ständig etwas. Sie bekamen Bälle ins Gesicht, prügelten sich halb im Scherz oder fielen auf die Nase, weil sie vor lauter Lässigkeit nicht wussten, wo sie hintraten. Bei Rufus war es schließlich das Gleiche - kein Sommer ohne Gipsbein, lautete seine Devise.
    Doch plötzlich sah alles anders aus, und mit einem Schlag fielen mir die ganzen Andeutungen über Sams Verletzungen ein. Die gesenkten Blicke
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