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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Autoren: Tanja Heitmann
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Verantwortungsgefühl beibringen zu können. So ein Auto konnte einen Jungen schon beschäftigen, außerdem wurde er damit automatisch zum Chauffeur seiner Kumpel, die alle einen Tick jünger waren und den Führerschein erst noch machen mussten. Das bedeutete soviel wie: kein Alkohol, selbst dann nicht, wenn Sam nicht mit von der Partie war. Das Geld für den alten Ford war es meinen Eltern vermutlich wert gewesen, nachts endlich wieder besser schlafen zu können.
    Während der Fahrt sprach Rufus kein Wort mit mir. Er drehte die Anlage voll auf, bis die noch nicht einmontierten Boxen auf der Ablage hopsten. Ich hatte nichts dagegen, denn als wir unser Stadtviertel verließen, breitete sich erneut jene Aufregung in mir aus, die mich schon den ganzen Nachmittag über gefangen gehalten hatte. Ich wusste vieles über Sam, aber ich hatte keine Ahnung, wo er wohnte. Dass ich gleich in seinem Zimmer sitzen würde, brachte mich so durcheinander, dass ich am liebsten an der nächsten Ampel ausgestiegen wäre und einen 1000-Meter-Lauf hingelegt hätte. Vermutlich würde ich in Sams Nähe keinen einzigen klaren Gedanken fassen können, geschweige denn, seine Matheerklärungen begreifen.
    Als Rufus den Wagen vor einem heruntergekommenen Mietshaus zum Stehen brachte, blieb ich zuerst einmal sitzen und blickte ihn fragend an. Rufus zog ungeduldig den Schlüssel ab.
    »Wie wäre es mit Aussteigen?«
    Aber erst, als er sich selbst aus dem Sitz nach draußen bugsierte, stieg ich ebenfalls aus.
    »Hier wohnt Sam?«
    Nicht dass ich mit einem weiß gestrichenen Einfamilienhaus gerechnet hatte, aber der graue Betonklotz mit dem Rasenstreifen, auf dem einige Kinderspielsachen verstreut lagen, traf es auch nicht wirklich. Sam gehörte hier nicht hin, genauso wenig wie er in unseren Schulflur passte oder zu dieser Tankstelle, an der er jobbte. Ich hatte ihn dort einmal gesehen, als meine Mutter angehalten hatte, weil es auf dem Armaturenbrett aufgeleuchtet hatte und keiner von uns beiden wusste, was das Zeichen bedeutete. Als Sam die Motorhaube geöffnet und Wasser nachgefüllt hatte, war es mir vorgekommen, als würden zwei Filme gleichzeitig ablaufen: einmal die triste Tankstelle und dann Sam, wie er sich bewegte und sprach, vollkommen losgelöst von Raum und Zeit. Wie durch einen Zauber waren beide Filme übereinandergelegt worden, aber man hatte ganz eindeutig gesehen, dass Sam nicht in diese Tankstellen-Kulisse gehörte.
    Mittlerweile bezweifelte ich, dass sich dieses Empfinden allein mit meiner Gabe zur selektiven Wahrnehmung erklären ließ. Etwas an Sam stimmte nicht, wenn auch im allerbesten Sinne. Trotzdem behielt ich meine Beobachtungen für mich. Lenas Reaktion konnte ich mir lebendig ausmalen: Sie würde mit der Zunge an ihrer Zahnspange entlangfahren, um Zeit zu gewinnen, und dann würde sie etwas Einsilbiges wie »Hormone« sagen. Mit diesem vermeintlich vernünftigen Kommentar versah Lena nämlich seit einiger Zeit alles, was ihr schlicht zu abstrus erschien. Dabei machte sie nicht einmal vor ihrer eigenen Schwärmerei für Rufus halt, wobei ich ihr in diesem Punkt zustimmen musste. Wer meinen Bruder seit Jahren Tag für Tag sah und immer noch für ihn schwärmte, musste einen knallharten Hormoncocktail abbekommen haben.
    Ich hingegen bildete mir ein, mittlerweile sehr gut zwischen meinen Gefühlen für Sam und seinem speziellen Zauber unterscheiden zu können. Allerdings hätte wohl selbst meine für alles offene Mutter lediglich ein paar beruhigende Worte auf Lager gehabt, wenn ich ihr von meiner Vermutung, dass Sam nicht von dieser Welt war, erzählt hätte. Also machte ich das lieber mit mir allein aus, und solange Sam nichts anderes als ein ferner Stern am Himmel gewesen war, hatte das ja auch ganz wunderbar funktioniert. Nur jetzt, wo Rufus der über den Boden schleifenden Eingangstür des Mietshauses einen Stoß versetzte und wir uns durch ein unangenehm riechendes Treppenhaus hocharbeiteten, fühlte ich mich überfordert.
    Ich hatte den Schock, als Sam plötzlich vor mir gestanden und mit mir geredet - wirklich geredet! - hatte, immer noch nicht ganz überwunden. Der Nachmittag war viel zu schnell vorbeigegangen, als dass ich mich auf diese Situation hätte einstellen können. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich hier sein sollte. Aber da drückte Rufus bereits die Klingel. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich spielte kurz mit dem Gedanken, einfach zu fliehen.
    Hinter der Wohnungstür fragte
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