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Schattennaechte

Schattennaechte

Titel: Schattennaechte
Autoren: Tami Hoag
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Fußgänger über den Haufen gefahren. Sie erzählen mir, dass dieser Mann Ihre Tochter entführt hat, aber dass es dafür keine Beweise gibt.«
    »Ich habe nicht behauptet, dass ich völlig rational gehandelt habe«, gab Lauren zu. »Aber zu meinem Glück ist es nicht verboten, ein wenig verrückt zu sein. Eine Menge Leute würden mir auch ohne Weiteres zugestehen, dass ich etwas unausgeglichen bin. Das ist einer der wenigen Vorteile, wenn man eine Tragödie überlebt hat.«
    Er reagierte nicht auf ihren Sarkasmus. Er rieb sich mit seiner kräftigen Hand den Nacken, so als wollte er die Blutzufuhr zu seinem Gehirn erhöhen, damit er besser denken könnte.
    Erneut sagte er etwas in sein Funkgerät und forderte Informationen über Roland Ballencoa an. Suchmeldungen, Haftbefehle, gegenwärtige Adresse.
    »Wo wohnen Sie?«, fragte er.
    »Old Mission Road Nummer einundzwanzig. Das Haus gehört Freunden aus Santa Barbara – den Bristols«, erklärte sie, als würde er es so genau wissen wollen.
    »Ihre Telefonnummer?«, fragte er und notierte ihre Antworten in einem kleinen Spiralheft, das er aus der Innentasche seines Jacketts gezogen hatte.
    »Sie sollten mit Detective Tanner von der Polizei in Santa Barbara sprechen«, sagte sie, überzeugt, dass er das auch tun würde. Diesen Eindruck machte er jedenfalls auf sie – ein wenig pedantisch. »Tanner ist verantwortlich für den Fall meiner Tochter.«
    »Haben Sie irgendeinen Anlass zu der Vermutung, dass sich Ballencoa in Oak Knoll aufhält?«, fragte er.
    »Wenn es so wäre, hätte ich dann meine Tochter hierhergebracht?«, sagte Lauren.
    Darauf erwiderte Mendez nichts – noch so ein nervtötender Zug an Cops. »Haben Sie Anlass zu der Vermutung, dass er von Ihrem Aufenthalt hier weiß?«
    »Ich habe ihm keine Postkarte mit unserer neuen Adresse geschickt«, fuhr sie ihn an. »Halten Sie mich für bescheuert?«
    »Nein, Ma’am.«
    »Stimmt, Sie halten mich ja für verrückt.«
    »Nein, Ma’am.«
    »Hören Sie schon auf mit Ihrem höflichen Getue, Detective«, sagte sie. »Sie haben allen Grund, mich für nicht ganz richtig im Kopf zu halten. Und außerdem bin ich eine Nervensäge.«
    Mendez sagte nichts.
    Lauren zwang sich zu einem ironischen Lächeln. »Ihre Mutter hat sie gut erzogen.«
    »Ja, Ma’am.«
    Das Funkgerät rauschte und spuckte einen weiteren Schwall an Informationen aus. Roland Ballencoas letzte bekannte Adresse war in San Luis Obispo, fast zwei Autostunden entfernt. Keine Suchmeldungen, keine Haftbefehle.
    Mendez sah zu ihr hinüber.
    »Das heißt nicht, dass er nicht hier sein könnte«, wandte Lauren ein. »Nach allem, was ich weiß, steht es den Leuten frei, San Luis Obispo zu verlassen oder dorthin zurückzukehren.«
    »Glauben Sie, dass er den weiten Weg gefahren ist, nur um hier im Supermarkt einzukaufen?«, fragte der Detective.
    Plötzlich brannten Tränen in Laurens Augen. Sie fühlte sich dumm und hilflos.
    »Kann ich jetzt gehen?«, fragte sie mit leiser Stimme.
    Mendez bedachte sie mit einem langen, prüfenden Blick. Sie spürte ihn, dazu musste sie nicht einmal den Kopf heben.
    Schließlich reichte er ihr ihren Führerschein und zog eine Visitenkarte aus der Tasche.
    »Wenn Sie wieder mal glauben, ihn irgendwo zu sehen, verfolgen Sie ihn nicht«, sagte er. »Rufen Sie im Büro des Sheriffs an.«
    »Und was soll ich sagen?«, fragte sie. »Dass ich einen Mann gesehen habe, gegen den nichts vorliegt und der Obst und Gemüse einkauft?«
    Er seufzte leise, sei es, weil er genervt war, oder aus Ungeduld oder weil er ihr recht gab. Seine Miene verriet nichts. »Rufen Sie mich an.«
    »Gut«, sagte sie und sah auf die Karte. Detective Anthony Mendez . Sie öffnete die Tür und stieg aus seinem Auto.
    »Gute Fahrt, Ma’am.«

3
    Mendez sah zu, wie Lauren Lawton zu ihrem schwarzen BMW ging. Sie wirkte gebrochen. Laut den Angaben in ihrem Führerschein war sie zweiundvierzig Jahre alt. Das Foto zeigte eine strahlende Frau mit einem bezaubernden Lächeln, schwarzen Haaren und leuchtend blauen Augen. Die Frau, die neben ihm gesessen hatte, hatte älter ausgesehen, dünner, blasser, so als hätte der Verlust ihrer Tochter sie Jahre ihres Lebens gekostet. Wahrscheinlich war es so.
    Er hatte den Fall damals mitverfolgt. Es war im Frühling gewesen, kurz nach der Hochzeit von Vince und Anne. Seine Freunde waren in ihre wohlverdienten Flitterwochen nach Italien gefahren. Am nächsten Tag hatte die mutmaßliche Entführung eines jungen Mädchens in
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