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Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Autoren: Jörg S. Gustmann
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Ufer, an der der Körper seines Sohnes die Gänseblümchen plattdrückte. Mit einem kurzen Seitenblick erfasste dieser die Gestalt Martin Pohlmanns. Ohne seine Anwesenheit zu kommentieren, stieg er über das Absperrband und heftete den Blick auf die Konturen der Wasserleiche. Er hoffte inständig, dass es sich um einen Irrtum handelte, dass dort gar nicht sein Sohn lag, sondern nur jemand, der ihm ähnlich sah. Was nicht sein durfte, war auch nicht so, besonders in den Kreisen, in denen sich die Familie Schöller bewegte. Dort war es üblich, die Dinge nach ihren Belangen zu regeln.
    Verstört betrachtete der Vater den Toten dort am Boden. Jetzt hörten die Vögel doch auf zu singen, die Kinder spielten nicht mehr, die Sonne schien nicht länger. Die Erde drehte sich nicht mehr für einen Mann, der für einen kurzen Moment im Begriff war zu zerbrechen. Der Fotograf hielt in seinen Bewegungen inne, die junge Polizistin erblasste in Anwesenheit ihres Ober-Chefs noch mehr. Der gutsituierte Mann vergaß plötzlich, wer er war, und kniete mit seiner feinen Anzughose in der feuchten Wiese. Angeekelt fixierte er die Schnecke, die unbeirrt ihren Weg über die Finger seines Sohnes fortsetzte. Die Nervenbahnen, durch die die unabänderliche Information zum Gehirn kroch, verengten sich, als träte man auf einen Wasserschlauch.
    Zu erfassen was nicht sein konnte, war keine einfache Sache. Erst recht nicht für jemanden, der es gewohnt war, die Zügel in der Hand zu halten, zu bestimmen, wo es langzugehen hatte. Diese Zügel jedoch hatte man ihm entrissen und in dem Moment, als er dies begriff, stand er ohne Eile auf und suchte für seine Trauer und Wut ein Ventil. Er drehte sich zu Martin Pohlmann um, der noch in Sichtweite war, und verfolgte ihn mit einem Blick voller Argwohn.
    Langsamen Schrittes kam er auf den Lüneburger Kommissar zu. Sein Kopf zitterte auf dem faltigen Hals. Auch Werner ging dem Vater des Toten entgegen, um ihm zu kondolieren. Schöller schob die ihm entgegengestreckte Hand Hartleibs zur Seite und zerriss das Absperrband zwischen seinen Pranken. Seine Lippen bebten, als er die Hand hob und den Zeigefinger nach Martin ausstreckte. Er blieb vor Pohlmann stehen und fixierte ihn mit feuchten Augen. Er tippte mit seinem Finger viele Male auf Pohlmanns Brust, fand aber noch keine Worte, die seine Aktion begleiteten. Er handelte unüberlegt, unter Schock. Das Adrenalin boykottierte den Vorsatz, besonnen und souverän zu reagieren. Schließlich presste er wenige Worte heraus.
    »Wenn ich Sie noch einmal in der Nähe meines Sohnes und des Präsidiums sehe, dann …, dann mache ich Sie fertig.« Ein letztes Mal hackte er auf Pohlmanns Brust ein. »Haben Sie mich verstanden?«
    Martin wich einen Schritt zurück. Er wollte sagen: ›Es war nicht meine Idee, hierherzukommen. Um nichts in der Welt würde ich diesen Fall übernehmen wollen. Ihr Sohn ist mir scheißegal.‹
    Er nickte jedoch lediglich und brachte ein kaum vernehmliches Ja hervor.
    Martin erhaschte einen schemenhaften Blick auf die zerbrochenen Seelenscherben eines Mannes kurz vor seiner Pensionierung.
    Der Vater schlich wie unter Drogen davon.

    Auf dem Schotter blockierende Reifen eines Fahrrades rissen Martin aus der Erstarrung. Ein drahtiger Fahrradkurier mit einer orangefarbenen Tasche auf dem Rücken hielt vor der Szene. »Ist jemand von Ihnen Martin Pohlmann?«
    Martin hob die Hand und nickte verdutzt. Mit allem hätte er in diesem Augenblick gerechnet, nicht jedoch damit, dass ihm ein brauner Umschlag mit seinem Namen darauf, geschrieben mit Maschinenschrift, überreicht werden würde.
    »Danke«, sagte er leise, doch der Kurier war schon wieder unterwegs. Eine von hundert Zustellungen für ihn an diesem Tag.
    Martin ging einige Meter vom alten Schöller weg, der das Ganze verfolgt hatte und ihn perplex anstarrte. Mit dem Finger riss Martin den Umschlag auf und nahm einen ausgedruckten Brief heraus. An der Unterseite war eine kleine Mikro-SD-Karte mit Tesafilm fixiert. Instinktiv blickte er über den Rand des Briefes zu Schöller senior, der ihn nicht aus den Augen ließ. Vorsichtig knibbelte er den Chip von der Unterlage ab und ließ ihn unbemerkt vorn in der Jeans verschwinden. Dann begann er zu lesen:

    ›Wenn Sie diesen Brief in den Händen halten, bin ich, wie Sie seit Kurzem wissen, tot. Ich habe es geahnt, irgendwie sogar gewusst, dass es so kommen könnte, und es ist okay. Aber auch ich habe diesmal dazu beigetragen, einen Fall zu lösen,
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